Scheinheiligkeit im Spiegel

A general view shows the Canisius Kolleg catholic high school at Berlins Tiergarten district in Bes Tiergarten district in Be
A general view shows the Canisius Kolleg catholic high school at Berlins Tiergarten district in Bes Tiergarten district in Be(c) REUTERS (Fabrizio Bensch)
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Die Koppelung von Klerus und „Scheinheiligkeit“ ist so alt wie das Wort selbst.

Eine Gestalt im Kardinalstalar schält sich aus schwarzem Hintergrund heraus, sie hat kein Gesicht und ihr Gewand ist rot wie Blut... Nein, das ist nicht das Cover von Dan Browns Roman „Illuminati“, sondern der neue „Spiegel“. Aber er sieht dem Romancover zum Verwechseln ähnlich – nur dass man auf dem „Spiegel“ auch die Hände dieses furchterregenden Wesens sieht: Die linke hält ein Buch, die rechte steckt halb im Talar – am Geschlechtsteil.

Spätestens mit dem Erfolg der Dan-Brown-Romane hat die marktschreierische Kirchenkritik ihre eigene Ästhetik, sie kennt nur zwei Farben – Schwarz, die Farbe des Dunkels, in dem schreckliche Dinge passieren, und Rot, die Farbe von Macht und Mord.

Die klischeehafte Aufmachung der Kirchenskandalstory im „Spiegel“ reizt zum Lachen, dabei sind die Tatsachen furchtbar: Drei deutsche Jesuitenpater werden beschuldigt, in den Siebziger- und Achtzigerjahren Schüler sexuell missbraucht zu haben. Seit 1995 sind mindestens 94 Kleriker und Laien unter Missbrauchsverdacht geraten, 30 wurden bereits gerichtlich verurteilt. Zahnlos sind die Worte, die Papst Benedikt XVI. am Montag dazu fand: Leider hätten einige Glieder der Kirche in verschiedenen Fällen die Rechte der Kinder verletzt – „ein Verhalten, bei dem die Kirche nicht versäumt und auch in Hinkunft nicht versäumen wird, es zu missbilligen und es zu verurteilen.“


Nicht ganz zum schwarz-roten Bild der Kirche passt, dass die Informationen, die dem „Spiegel“ vorliegen, aus dem Klerus selbst kommen: Nicht das Magazin hat sie „enthüllt“, sondern der heutige Leiter des Canisius-Kollegs sowie (auf eine „Spiegel“-Umfrage hin) die Vertreter der Bistümer.

Das schwarz-rote Klischee ist dabei jünger als jenes, das den Titel der Coverstory hervorgebracht hat: „Die Scheinheiligen“. Das Wörterbuch der Gebrüder Grimm führt als ersten Beleg für dieses Wort ein Luther-Zitat: „das ist der underscheyd der waren heyligen und der scheynenden heilgen“ – gleich darauf folgt ein Zitat des deutschen Barockdichters Christian Weise: „ein scheinheiliger münch will an der tafel des königs nicht essen, betet aber lange, damit man ihn vor einen heiligen mann halten möge.“ Die Koppelung von Klerus und „Scheinheiligkeit“ ist also so alt wie das Wort selbst. Vielleicht ja zu Recht. Aber was soll man von einem Satz halten wie diesem aus dem „Spiegel“: „Die scheinheilig vorgelebte Keuschheit entspricht sehr oft nicht der Realität.“ Die vorgelebte Keuschheit ist also von vornherein scheinheilig, und nicht erst dann, wenn sie nicht der Realität entspricht?

Wieder einmal steht mit der „Scheinheiligkeit“ die „Doppelmoral“ der Kirche am Pranger. Aber wenn man schon bei der Aufarbeitung von Sünden der 70er- und 80er-Jahre ist, warum nicht auch die kokett-sympathisierenden „Spiegel“-Artikel über den wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger verurteilten Otto Mühl erwähnen? „Das war völlig normal, dass der Otto die jungen Mädchen defloriert hat, ob wir wollten oder nicht“, sagte eines seiner Opfer. Fast „völlig normal“ fand das damals auch der „Spiegel“...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2010)

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