Brandstiftung, schwerer Versicherungsbetrug, schwere Erpressung: Eine tschetschenische Bande, deren Zerschlagung vom einstigen Innenminister Wolfgang Sobotka persönlich verkündet worden war, steht in Wien vor Gericht.
Wien/Hollabrunn. In Ermittlerkreisen heißt es, dass diese Tschetschenen-Gruppe besonders gut organisiert sei. Von mafiösen Strukturen ist die Rede. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Korneuburg ist das Delikt „kriminelle Organisation“ aber nicht enthalten (einer der Tatorte ist Hollabrunn, daher sind Korneuburgs Behörden zuständig). Dafür werden andere massive Vorwürfe aufgelistet: Brandstiftung, Erpressung, Betrug.
Austragungsort des bis Mitte April anberaumten Prozesses ist Wien. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass Niederösterreich „nicht traurig“ sei, dieses Verfahren in letzter Minute aus formalen Gründen losgeworden zu sein. Den Vorsitz führt nun Claudia Bandion-Ortner, vormals Justizministerin (davor Richterin im Bawag-Prozess).
Acht Tschetschenen, Männer zwischen 28 und 47 Jahren, und zwei türkischstämmige Männer, der 40-jährige frühere Gastronom Serdal D. und der mehrfach vorbestrafte Beschäftigungslose Halis O. (33), sitzen nun auf der Anklagebank. Schwer bewacht.
Versicherung zur Kasse gebeten
Zwei der acht tschetschenischen Flüchtlinge haben laut Anklage am 13. März 2017 in Hollabrunn einen Brandanschlag auf die von Serdal D. geführte Pizzeria verübt. Andere Angeklagte sollen Hilfs- oder Vermittlerdienste geleistet haben. Der Wirt selbst, Serdal D., soll zu der Tat angestiftet haben. Denn: Der Geschäftsgang des Lokals verlief schleppend; Ziel des Ganzen sei laut Anklage gewesen, 190.000 Euro von der Wiener Städtischen Versicherung zu kassieren.
D. soll Abdullah A. (28) und Adam K. (43) die Schlüssel des Lokals überlassen haben. Die beiden verschütteten Benzin – das geben sie nun zu, bohrten ein Loch durch die Gebäudemauer und setzten den Treibstoff von außen in Brand. Die Wucht der Explosion war viel heftiger als erwartet. Möglicherweise war auch der Gashahn aufgedreht worden.
Drei Hausbewohner erlitten Rauchgasvergiftungen. A. wurde selbst schwer verletzt. Er ließ sich im Wiener AKH behandeln, wobei ein Begleiter dem Arzt einreden wollte, die Brandverletzungen seien entstanden, weil A. aus einem fahrenden Auto geworfen worden sei. Freilich machte dies den Mediziner erst recht misstrauisch.
Der schwer verletzte A. (Schädel-Hirn-Trauma, multiple Knochenbrüche etc.) ließ es sich nicht nehmen, nur vier Tage nach der Explosion an einem tschetschenischen Grillfest teilzunehmen – „im Krankenhaushemd“, wie es in der Anklage heißt.
Die Anwälte Alexander Philipp und Wolfgang Blaschitz erklärten, ihre Mandanten hätten „nur ein kleines Feuer gewollt“. Der Wirt wiederum bestritt, einen Versicherungsbetrug vorgehabt zu haben. Auch die anderen Angeklagten bekannten sich nicht schuldig.
Einigen Mitgliedern der Gruppierung wird vorgeworfen, sie hätten nach dem gescheiterten Versicherungscoup den Pizzeria-Wirt erpresst – sie hätten von D. 150.000 Euro Belohnung für die Brandstiftung gefordert. Würde er nicht zahlen, sterbe seine Familie, soll es geheißen haben. Würden sie eingesperrt werden, „würden andere Tschetschenen vorbeikommen, um ihn und seine Familie zu töten“, wie die Drohungen in der Anklage beschrieben werden. Außerdem sollen sie – unter Mitnahme von Schusswaffen – dem Wirt ein Handyvideo gezeigt haben, auf dem zu sehen ist, wie anderen Leuten Finger abgeschnitten werden.
Der damalige Innenminister, Wolfgang Sobotka (ÖVP), hatte voriges Jahr vor Journalisten erklärt, dass gegen die Verdächtigen Asylaberkennungsverfahren eingeleitet worden seien. Diese ruhen derzeit, der Ausgang des Prozesses wird abgewartet.
Bemerkenswerte Finanzlage
Richterin Bandion-Ortner ergründete nun die finanziellen Hintergründe der Angeklagten. Und förderte zutage, dass nur einer der zehn Männer, ein 31-jähriger Tschetschene, arbeitet. Als Friseur. Alle anderen sind – teils schon seit Jahren – beschäftigungslos und leben, wie sie ganz offen erklären, von diversen Sozialleistungen. So erzählte etwa der siebenfache Familienvater C. (47), er bekomme monatlich 3700 Euro an Sozialgeldern überwiesen. „Ein ganz schönes Familieneinkommen“, meinte Bandion-Ortner. Auch, dass einer der beschäftigungslosen Männer bestätigte, Arbeitslosengeld zu beziehen, dennoch einen BMW X5 zu fahren, brachte das Saalpublikum zum Staunen.
Auf einen Blick
Gericht. Zehn Männer, großteils Mitglieder einer verzweigten tschetschenischen Gruppe, müssen sich seit Dienstag in einem Erpressungsprozess verantworten. Sie bekennen sich nicht schuldig. Der Fall war vom Innenressort zur Chefsache erklärt worden. 200 Beamte hatten im Rahmen der Operation „Palace“ die Gruppierung zerschlagen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2018)