Eisig lächelt der ORF-Stratege

Auch das ist gelebte Demokratie: dass man sich erst ordentlich verrechnet und dann beim Händedruck mit dem unerwarteten Sieger die Zähne hinter einem geeisten Lächeln zusammenbeißen muss.

Die SPÖ ist derzeit um Contenance bemüht. Sie hatte sich ja partout geweigert, auf die teure und umstrittene Faxwahl des ORF-Publikumsrats zu verzichten – mit der Begründung, es handle sich bei der Abgabe von 220.000 Stimmen um einen wertvollen Akt der Demokratie. Profitiert hat davon unerwarteterweise die ÖVP, die fünf von sechs direkt gewählten Sitzen gewinnen konnte – die SP-Strategen hatten zu viele Kandidaten ins Rennen geschickt, die sich die Stimmen aufteilen mussten.

Mit der verlorenen Wahl sind auch die Hoffnungen der SPÖ auf eine absolute Mehrheit im Stiftungsrat perdu – das Kräfteverhältnis zwischen SPÖ (15) und ÖVP (12) bleibt gleich. Das gehört eben auch zur Demokratie: Man lässt um viel Geld wählen, und dann ändert sich nichts. Die SPÖ wird sich also auch künftig in Sachen ORF mit der ÖVP zusammenraufen müssen, kann nicht im Alleingang entscheiden, muss um die Nachfolge von ORF-General Alexander Wrabetz feilschen. Lächeln nicht vergessen!


Etwas angeeist sind mittlerweile auch die Mundwinkel der ORF-Strategen, wenn es darum geht, drei Buchstaben auszusprechen: A, T und V. Der viel kleinere private Konkurrent hat sich zum quirligen Hecht im Karpfenteich der öffentlich-rechtlichen Selbstgefälligkeit entwickelt.

Der ORF verschmäht „Bauer sucht Frau“? ATV kauft die Rechte, macht seine erfolgreichste Sendung und überholt mit dem Finale ORF1 um Längen. Der Öffentlich-Rechtliche wirbt Dominic Heinzl ab? ATV macht eine neue Sendung („Life“), die Heinzls „Backstage“ wenige Tage nach dem Start bei den Zusehern überrundet. Der ORF schickt Heinzl auf den Opernball und lässt ATV nicht auf der Feststiege filmen? Also wird Thomas Gottschalk am Tag nach dem Ball für ATV einen „launigen Erfahrungsbericht“ abliefern.

Und ob Staatsoperndirektor Ioan Holender es nun versteht oder nicht, dass es Leute gibt, die sich den Ball im Fernsehen anschauen wollen: Auch das ist Demokratie – wobei die Abstimmung per Fernbedienung fällt. Am Donnerstag wird der ORF per Liveschaltung sein Siegerlächeln aufsetzen. Freitag wird es wieder gefroren sein...


kultur@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.