Kunsthistorisches Museum: Belebte Bilder von Himmelfahrt und Orgien

Ganymed im Kunsthistorischen Museum Wien
Ganymed im Kunsthistorischen Museum Wien(c) KHM-Museumsverband (Helmut Wimmer)
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Die fünfte Ausgabe des Stationentheaters „Ganymed“ spürt der Natur in der Kunst nach. Die bisher persönlichste, anrührendste Ausgabe. Eine Belebung unseres kollektiven Bilderspeichers, die jedenfalls Sinn hat.

Es ist die Kür des Museumsbetriebs weltweit – die Leute in die ständigen Sammlungen zu bekommen. Nicht die Touristen, diese kommen sowieso. Sondern die Einheimischen. Denn diese glauben, alles schon gesehen zu haben, wenn sie einmal in der Unterstufe vor Klimts „Kuss“ oder Arcimboldos „Sommer“ gestanden sind. Aber wissen sie, wie der Wind in Brueghels Vorfrühlingsvision „Der düstere Tag“ geklungen haben muss? Warum die Statue der Liebesgöttin, um die sich Rubens' orgiastisches Venusfest im KHM abspielt, ein derart unorgiastisches Gesicht zieht? Oder wie es sich anfühlt, wie auf Rubens' „Maria Himmelfahrt“ von Engelschören getragen und besungen zu werden? Am eigenen Leib?

Das erledigen in der jüngsten Ausgabe des „Ganymed“-Museumstheaters, die am Mittwoch Premiere hatte, die weiß gewandeten Mitglieder der „Company of Music“ – mit ihrer vereinten Muskelkraft kann jeder von uns heilig werden, über die Bänke der Gemäldegalerie schreiten, von einem Podest zum nächsten schweben, begleitet von glockenhellen Lobpreisungen, komponiert von Johanna Doderer. Martin Eberle und Martin Ptak lassen Bruegels „Twilight“ zu Jazz werden. Katharina Stemberger erklärt uns mit Worten der Schriftstellerin Eva Menasse die „Speckfaltenexplosion“ der Venusorgie, deren angedeutete Lustbarkeiten durch Gefrierung zum Gemälde noch schlüpfriger wirken, schreibt sie, als sie es in einem weiteren Verlauf geworden wären.

Mit einem Plan in der einen Hand, einem Hocker in der anderen, wandert man zwei Stunden wie in Trance durch die Gemäldegalerie. Streunt in Ecken, die man sonst links liegen lässt. Steht vor Bildern, die man lange vermisste. Oder vor Manaho Shimokawa, die sich zu einem Text von Martin Pollack vor der „Allegorie der Vergänglichkeit“ von Antonio de Pereda y Salgado so intensiv, so unheimlich übersensibel als Gärtnerin vor mörderischen Abgründen gebärdet.

Das von Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf erfundene Stationentheater ist notwendige Belebung des Museumsalltags. Auch wenn nie allen alle Stationen voll Musik, Literatur, Performance gefallen werden. Auch wenn nicht jede Ausgabe dieselbe Qualität hat, zeitlich (und akustisch) gleich gut abgestimmt ist. Im fünften Jahr hat man seine Stammgäste gefunden, von denen sich manche sogar noch an Anfänge im Josephinum erinnern können. Im KHM ist die Schiene Jahr für Jahr nahezu ausverkauft, und das bei 650 Karten pro Abend. Bei 13 Terminen.

Die Ruhe auf der Flucht aus Syrien

Nach Themen wie Frauen, wie Europa spürt man heuer der Natur in der Kunst nach. Eindrucksvoll wummert sie aus dem Laptop von Karlheinz Essl, der Rubens' Gewitterlandschaft zum Donnern bringt. Lebensbedrohlich wird sie in den Erzählungen der aus Syrien geflüchteten Rania Mustafa Ali, die den selbst gedrehten Film ihrer Flucht neben Gentileschis „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ zeigt. Persönlich bleibt es – bei Vivien Löschners Text über ihren Invitro-Versuch (vor Fra Bartolomeos Maria mit Kind), angesichts Sona MacDonalds Assoziationen zur Rose, die Marie-Antoinette auf ihrem Porträt in der Hand trägt.

Wie autobiografisch diese Szenen auch sind, sie sollen so wirken. Ob es der Blick auf das Bild „Alter Mann am Fenster“ Samuel van Hoogstratens ist, das zur Zelle des gerade zu lebenslanger Haft verurteilten türkischen Autors Ahmet Altan wird. Oder der Blick auf den elektrisierenden „Flirt“, der sich zwischen Franz Schuh und Tizian angesichts „Nymphe und Schäfer“ entspinnt. Unsere rasche Angerührtheit erinnert uns daran, wo wir uns hier befinden – im kollektiven Bilderspeicher unserer (abendländischen) Gefühligkeiten, unserer Ängste und Sehnsüchte. Allein dafür – „Ganymed“ forever.

Termine: jeweils Mi. und Sa. bis 16. Juni, 19 bis 22 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2018)

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