Der Architektur-Aufreger: Naschmarkt ist überall

Plötzlich ist der Naschmarkt überall. In der Logik der Vorsorge-Architektur kommen zwei Dinge nicht vor: Logik und Architektur

Jeder Sektor hat so seine bedrohten Arten. Im Immobilien-Bereich sind es die Gründerzeithäuser (Ja, es gibt natürlich noch ein paar). Im Wortschatz-Bereich sind das die Präpositionen. In Wiener Wohngegenden, wo bis vor kurzem noch ein Haufen Gründerzeithäuser herumstanden, knausern die Jugendlichen gerne mit Präpositionen. Schließlich gilt die Logik: Wir hier. Park dort. Also: „Wir gehen Park“. Immobilien-Entwickler ticken da ein wenig anders. Sie denken sich: Wir hier. Hmm, das allein wäre noch zu wenig. Was ist denn dort? Sogar der Naschmarkt ist dann fast immer in der Nähe, wenn Developer beginnen, die Stadt, in der sie Geld verdienen, für sich umzudeuten. Zumindest „kantiger Charme“ findet sich so gut wie immer vor der Haustür. Wie in Meidling etwa, verspricht ein Prospekt. Ein Charme-Zustand, dem Menschen, die sich Wohnungen kaufen, bis vor kurzem noch lieber weitläufig ausgewichen sind.

Jedenfalls: Irgendwas mit Fenstern und Balkon, in das Leute ihr Geld stecken, sollte es sein. Also verbinden die Developer die Häuser mit der Umgebung und greifen dabei zu ganz anderen Mitteln als nur zur Haustür. Zur Präposition. Wie in: „City Apartments an der Wien“ (übrigens Projekt-Eigenaussagen ebenfalls in Naschmarkt-Nähe und ums Eck von Schönbrunn zugleich). Oder in: „Wohnen am Liesingbach“ - kein Gewässerchen ist den Entwicklern zu mickrig, um nicht ein süßes Kind mit Papierschiffchen in ihren Verkaufsprospekten an sein Ufer zu schicken. Sogar seltene Präpositionen wie „nächst“ wurden in letzter Zeit gesichtet. „In“ ist ja eher nicht so die Präposition der Wahl. Sollen doch die anderen drin wohnen, denken die Investoren. Dann schon lieber noch mal „an“: „Willkommen am Meidinger Markt“ zum Beispiel. Viel mehr fällt Immobilien-Entwicklern zu Meidling auch nicht ein. Vorsorge-Wohnungen heißt das Prinzip, das die Welt architektonisch eine bessere werden lässt. In einer ganz raffinierten Weise. Nämlich in jener, dass davon nur die kleine Welt der Developer betroffen ist. Schon einen Zentimeter vor der Haustür ist die positive Wirkung vorbei. "Irgendwas mit Fenstern und Balkon" - viel mehr kann da wirklich nicht im Briefing an die Architekten stehen. Vielleicht noch: "Denken Sie an einen Bunker. Weil, Sie wissen schon, Geld bunkern und so".

Während sich Architekturbüros mit innovativen Ansätzen im Sektor des geförderten Wohnbaus gestalterisch und gedanklich verrenken, um engen Budgets und strengen Vorgaben noch ein paar neue Qualitäten abzutrotzen, setzen freifinanzierte Eigentumswohnungen gerne auf die schnellste Verbindung. Um es mit Präpositionen auszudrücken: von hier nach dort. Vom Bauprojekt zur Rendite. In Architektur ausgedrückt: vom Banalen zum Naheliegendsten. Knausrig in den Raumhöhen. Uninspiriert in den Grundrissen. Manchmal, in tieferen Lagen, kaum heller als ein Schließfach im Inneren. Egal, den meisten Investoren scheint ihr Geld in den Beton-Depots besser aufgehoben als im Safe. Nur unfair, dass der Rest der Stadt zwischen den Wertanlagen anderer wandeln muss. Zwischen Architekturen, die gar nicht erst versuchen anders auszusehen als Depots oder Schließfächer von außen. Dort müssen andere ihre Kinder großziehen und ihre Freizeit verbringen. Früher war noch „Schmuckkästchen“ ein Attribut, das man auch an Häuser verteilt hat. An Behältnisse, die - wertvoll gestaltet - Wertvolles beinhalten.

Heute sind die Attribute andere: „Betongold“ nennt es fast hämisch die Immobilien-Branche. Gold, das würde ja seine Wertigkeit in sich tragen zumindest. So wie es auch Holz tut. Aber Beton mit Fenstern drin und Balkonen davor muss man erst aufladen wie einen leeren Akku. Und wie Schwämme saugen die Vorsorgewohnungen von der Architektur-Stange die Werte aus der Umgebung. Irgendwann ist vom „kantigen Charme“ dann auch nicht ganz soviel mehr übrig. Und von den Vorsorgewohnungen nebenan kann man sich dann auch keine Qualitäten mehr so leicht ausborgen wie vom Meidlinger Markt und dem Schlosspark nebenan.

Aber wenn gar nichts mehr hilft, kann man auch Qualitäten erfinden: "Willkommen im pulsierenden Grätzl mitten in Wien für junge, urbane Trendsetter, die einen gewissen Lifestyle leben". Das muss sie doch sein, die - ja genau, die Jägerstraße im 20. Bezirk. Wer mehr als zwei Vertreter der beschriebenen Gattung gleichzeitig dort auf dem Gehsteig sieht, gewinnt eine Eigentumswohnung. Ja, genau: in der Jägerstraße. "Kantiger Charme" gleich inklusive.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wohnen

Der Architektur-Aufreger: Wien Mitte und darunter

Wien hat versäumt Weltstadt zu werden: Architektonisch vor allem auch im Untergrund.
Wohnen

Der Architektur-Aufreger: Am Flakturm

Wie man seine Vergangenheit ausradiert: Das Haus des Meeres wird vom Flakturm zum Aqua-Klotz.
Wohnen

Der Architektur-Aufreger: Am Flughafen

Gegängelt bis zur Gangway: Wer in den Himmel will, muss durch die Hölle. Und die haben Architekten bis ins Detail ausgeklügelt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.