„Jung Wien“ aus der Nähe betrachtet

(c) Cornelia Nalepka
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Im ausgehenden 19. Jahrhundert trafen sich Schriftsteller und Künstler mit modernen Ideen fast täglich im Kaffeehaus. Wiener Wissenschaftler erforschten ihre Biografien und präsentieren sie jetzt in Ausstellungen.

„Freunde? Freunde sind wir ja eigentlich nicht – wir machen einander nur nicht nervös.“ So charakterisierte der Dichter Richard Beer-Hofmann den Schriftstellerkreis „Das Junge Wien“.

Für Arthur Schnitzler, der ebenfalls dazu gehörte, bedeuteten die Treffen der Gruppe im Café Griensteidl im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts weit mehr. „Aus seinen Tagebüchern weiß man, dass sich unter den Literaten durchaus spannungsreiche Freundschaften entwickelt haben“, erläutert David Österle vom Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Geschichte und Theorie der Biographie und Kurator eines Ausstellungsensembles zum Jungen Wien.

Angehörige des Ludwig-Boltzmann-Instituts erforschen in verschiedenen Projekten unter anderem das Leben von Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal und Karl Kraus. Sie nutzen dabei Bestände der Österreichischen Nationalbibliothek, des Deutschen Literaturarchivs, des Frankfurter Goethehauses, der Universität Cambridge und der Wienbibliothek.

Pazifismus als Privatsache

Marie Kolkenbrock arbeitet in Cambridge am Nachlass Schnitzlers und kuratiert demnächst eine Ausstellung im Grillparzerhaus des Österreichischen Staatsarchivs. Ihr besonderes Augenmerk liegt auf Schnitzlers Haltung zum Ersten Weltkrieg; er war einer der wenigen Intellektuellen seiner Zeit, die sich der allgemeinen Kriegsbegeisterung im Herbst 1914 nicht anschlossen.

Eine zu Lebzeiten unveröffentlichte Essaysammlung „Und einmal wird der Friede wiederkommen“ dokumentiert seine Kritik am „Kriegsdienst mit der Feder“, den viele seiner Kollegen leisteten. Er äußerte diese jedoch nicht öffentlich. Ebenso wie die Bindung an seine Heimat Österreich blieb auch sein Pazifismus weitgehend Privatsache. Kolkenbrock sieht die „reservierte, kühle Haltung“, die Schnitzler zeigte, als „bezeichnend für die Ambivalenz, die sich für ihn als Juden gegenüber Österreich als kriegsführendem Staat ergab“.

Hugo von Hofmannsthal, in jungen Jahren „Loris“ genannt, schloss sich bereits als 16-Jähriger „Jung Wien“ an. „Damals unterschied er sich als Lyriker mit symbolistischer und ästhetizistischer Orientierung deutlich von Schnitzler, der zeitweise großen Wert auf dessen Urteil legte. Anders als der distanzierte Schnitzler gab er sich öffentlich durchaus patriotisch, bevor er gegen Ende des Ersten Weltkrieges auch proeuropäische Töne anschlug“, erklärt Österle.

Institutsleiter Wilhelm Hemecker erklärt den Zugang des Instituts zum Dichter: „Während die klassische Biografie sich stärker an der Zeitachse orientiert, haben wir unsere Hofmannsthal-Biografie topografisch organisiert, also spezifische Orte fokussiert.“

Karl Kraus hatte sich ebenfalls als junger Schriftsteller um Zugang zum „Jungen Wien“ bemüht und stand anfangs in einem guten Verhältnis zu Schnitzler und Felix Salten. 1897 kam es jedoch irreparabel zum Bruch. „Zuvor schon hatte er die Jung-Wiener als ,Kaffeehausdekadenzmoderne‘ qualifiziert. Kraus hatte von Anfang an ein besonderes Augenmerk auf Sprache gerichtet, in deren Gebrauch sich ethische Haltung offenbare“, erklärt Hemecker.

Ausstellungen zeigen Leben

Auf der Basis der Forschungsergebnisse sind in Wien mehrere Ausstellungen entstanden, die verschiedene Aspekte des Lebens der Schriftsteller im Fin de Siècle plastisch werden lassen. Sie sind etwa im Akademischen Gymnasium, im Café Central, in den Bezirksmuseen von Rudolfsheim-Fünfhaus und der Leopoldstadt und an weiteren Orten zu sehen. Eine Besonderheit: Im Metro-Kino des Filmarchivs wird ein Kaiserpanorama mit Original-Stereobildern von 1880 stehen, das schon Schnitzler immer wieder besuchte.

www.Ausstellungsübersicht:wgtb.lbg.ac.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2018)

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