Die Opfertheorie ist bereits seit Längerem im Museum der Nachkriegsmythen gelandet. Doch was sagen uns die Historiker heute? Wie sollen wir die Annexion durch Nazi-Deutschland im März 1938 heute sehen? Die revolutionäre Machtübernahme von außen hat auch evolutionäre Züge, sie sind im Inland zu finden.
Es greift zu kurz, den „Anschluss“ von 1938 als „deutsche Okkupation“, als „Griff nach Österreich“ und „Finis Austriae“ zusammenzufassen. Das galt lange Zeit als offiziöse Geschichtsinterpretation, die Opferrolle Österreichs war dogmatisch festgelegt. Hitler habe, so der Ausgangspunkt der These, nach einem vorgefassten Plan die Auslöschung Österreichs betrieben. Der Kleinstaat als wehrloses Opfer.
Durch die Forschungen von Gerhard Botz hat sich ein anderes Deutungsmuster ergeben: Es handelt sich um einen „dreifachen evolutionär-revolutionären Machttransfer“ (Botz), einen verschränkten Prozess, in dem auch innerösterreichische Interessen und Machtfaktoren ihren Platz hatten. Das hat sich in der Zeitgeschichtsforschung weitgehend durchgesetzt, die reine Opferrolle wurde als geschichtsfremde Minderheitenposition ins „Museum der Nachkriegsmythen“ (Heidemarie Uhl) verschoben.