Wann droht der nächste Tambora?

Der Ausbruch des Eyjafjallajökull 2010 in Island war ein vergleichsweise kleiner. Trotzdem legte er den Flugverkehr über Europa tagelang lahm.
Der Ausbruch des Eyjafjallajökull 2010 in Island war ein vergleichsweise kleiner. Trotzdem legte er den Flugverkehr über Europa tagelang lahm.(c) REUTERS (HO)
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Wurde die frühe Menschheit durch einen Vulkan fast ausgerottet? Das ist eher zweifelhaft. Aber Experten warnen vor der Verletzlichkeit der heutigen Menschheit.

Als 1815 der Tambora ausbrach, ein Vulkan in Indonesien, kamen in der Region 75.000 Menschen ums Leben, und in Europa und Nordamerika brachte die Aschewolke derartige Kälte, dass das Folgejahr als „Jahr ohne Sommer“ in die Annalen einging. Und der Tambora war nicht der stärkste Ausbruch, den die Menschheit in ihrer Geschichte erlebte, er hatte auf dem Volcanic Explosivity Index (VEI) Stärke 7. Vor 78.000 Jahren war, auch in Indonesien, der Toba ausgebrochen, er hatte VEI 8, das ist die zehnfache Stärke, die Skala ist logarithmisch.

Damals war die Erde dünn besiedelt, die Menschheit konzentrierte sich in Afrika, sie wäre fast ausgestorben am Vulkanwinter: Maximal 10.000 überlebten, und sie überlebten nicht nur, sondern wurden von der Not zu einer geistigen Entwicklung getrieben, die Homo sapiens erst zu dem machte, was er ist: Um diese Zeit tauchten erste Kunstwerke auf. So will es eine Hypothese, die 1998 von Stanley Ambrose (University of Illinois) vorgeschlagen wurde und seitdem umstritten ist. Offenbar zu recht: Nun haben sich Belege gefunden, dass der 9000 Kilometer entfernte Ausbruch zumindest regional keine Folgen hatte: Curtis Marean (Arizona State University) hat in Südafrika zwar Spuren des Toba gesichtet – Vulkanglasfragmente –, an zwei damals von Menschen genutzten Orten.

Aber die Spuren, die diese selbst hinterließen, deuten auf keinerlei Kälte: Den Menschen ging es gut (Nature 12. 3.). Die Vegetation hat auch nicht gelitten, zumindest nicht am Malawisee. In dessen Sedimenten hat sich auch schon Toba-Glas gefunden, und in den gleichen Schichten hat Chad Yost (University of Arizona) andere Steinchen ausgewertet, Phytolithen. Mit denen wehren sich Pflanzen gegen das Gefressenwerden, und an ihnen kann man Pflanzen unterscheiden: Ihre Häufigkeiten und Gesellschaften wurden durch den Toba nur marginal verändert (Journal of Human Evolution 6. 2.): „Es ist überraschend“, kommentiert Yost: „Man würde eine ernste Abkühlung erwarten. Aber das ist nicht das, was wir sehen.“

Und das ist auch nicht das, was zu erwarten wäre. „Der nächste VEI-7-Ausbruch könnte in unserer Lebenszeit kommen oder erst in ein paar Hundert Jahren“, warnt der auf den Philippinen tätige Vulkanologe Chris Newhall, der mit Stephen Self (UC Berkeley) 1982 den VEI-Index entwickelt hat und nun mit ihm ein düsteres Bild einer Welt zeichnet, die auf den nächsten Supervulkan kaum vorbereitet ist (Geosphere 6. 3.). Ein VEI 7 kommt ein bis zwei Mal pro Jahrtausend, sein pyroklastischer Strom – eine Mischung aus Gas und Gestein, die Vulkanflanken hinab rast – kann hundert Kilometer reichen, seine Asche riesige Flächen überziehen, Dächer zum Einsturz bringen, Straßen und Schienen unpassierbar machen. Und die Emissionen in die Atmosphäre – vor allem die des Schwefeldioxids – können, wie beim Tambora, Kühle bringen und Missernten.

Menschheit ist gewachsen

All das würde eine Menschheit treffen, die Betroffenen theoretisch zwar rascher zu Hilfe eilen könnte. In der Praxis aber ist die Welt verletzlicher geworden, schon der relativ kleine Ausbruch des Eyjafjallajökull in Island 2010 – VEI 3 – legte den Flugverkehr über Europa lahm. Und die Menschheit ist gewachsen: Als anno 79 der Vesuv Pompeji einäscherte (mit VEI 7), hatte die Region 100.000 Bewohner, heute sind es 4,4 Millionen. Noch dramatischer schwollen bedrohte Städte wie Mexico City oder Manila an, Teheran auch, nur 70 Kilometer entfernt ragt Mount Damavand, er kam auch einmal mit VEI 7.

„Der nächste wird in einer ganz anderen Umwelt kommen“, schließen Newhall/Self und fordern ein besseres Monitoring gefährlicher Vulkane sowie die Ausarbeitung von Evakuierungsplänen. Deren Umsetzung allerdings wäre auch bei früher Warnung schwer umsetzbar – weil die Warnungen immer mit Unsicherheit behaftet sind – und „ein logistischer Alptraum“. Und die Evakuierten müssten versorgt werden: „Millionen hungriger Menschen bleiben nicht lange ruhig.“ Soziale Unruhen wären die Folge, und, am Ende: Kriege. „Manche Forscher vergleichen die Folgen großer Ausbrüche mit denen eines Atomkriegs.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2018)

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