Morgenglosse

Die tickendende Flüchtlingszeitbombe in der Ägäis

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FILES-GREECE-EU-MIGRANTS-LESBOSAPA/AFP/ARIS MESSINIS
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Der Türkei-Deal wurde lange als Lösung der Flüchtlingskrise gefeiert. Aber so peinlich es klingen mag, Ankara hält seine Verpflichtungen besser ein als die EU-Staaten.

Es ist verführerisch, den anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Doch wenn der Türkei-Deal, der seit 2015 für eine deutliche Eindämmung des Flüchtlingsstroms gesorgt hat, scheitern sollte, ist in erster Linie nicht die so unbeliebte Führung in Ankara daran Schuld, sondern es sind die EU-Mitgliedstaaten.

Das von Angela Merkel eingefädelte und lange als Lösung gefeierte Abkommen hat dazu geführt, dass viele Syrer in der Türkei verbleiben und dort mit finanzieller Hilfe der EU das Ende des Bürgerkriegs abwarten können. Da die "Vereinbarung mit der Türkei funktioniert", verkündete diese Woche die EU-Kommission die Überweisung weiterer drei Milliarden Euro an Ankara. Tatsächlich "funktioniert" die Türkei als Auffangbecken für Hunderttausende Syrien-Flüchtlinge, aber leider misslingt zunehmend jener Part, für den die EU-Mitgliedstaaten verantwortlich sind.

Sie haben das Problem lediglich mit viel Geld exportiert. Im eigenen Haus versagen sie. Der Türkei-Experte Gerald Knaus, der den Deal mit Ankara einst mitentwickelt hat, rechnet deshalb mit dem Scheitern der gesamten Operation. Die EU kann nämlich ihrem Versprechen, Migranten, die weiterhin auf griechische Inseln gelangen, in die Türkei zurückzuführen und im Gegenzug ausgewählte syrische Flüchtlinge zu übernehmen, nicht nachkommen. Auf den Ägäis-Inseln stauen sich Tausende Flüchtlinge, deren Asylverfahren mangels Kapazitäten der griechischen Behörden nicht abgewickelt werden. Hilfe von den EU-Partnern gibt es nicht ausreichend. Von einer gemeinsamen Asylpolitik ist wegen des Streits um Aufnahmequoten keine Spur. So bleiben diese Menschen in überfüllten Lagern hängen, sie dürfen weder weiterziehen, noch werden sie wie vereinbart in die Türkei zurückgebracht.

Diese Zeitbombe ist nicht nur eine humanitäre. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtet von einer "gefährlichen Situation", in der es immer wieder zu Ausschreitungen kommt. Wenn das Wetter besser wird, könnten die Ägäis-Inseln erneut Ziel von Migranten werden: Viele dieser Menschen bekommen natürlich mit, dass von dort niemand mehr zurückgeschickt wird.

Die EU-Regierungen, die auf nationaler Ebene immer neue kreative Ideen entwicklen, wie sie sich von diesen Menschen abschotten können, versagen bei einem gemeinsamen, menschengerechten Vorgehen und lassen mit Griechenland einen Partnerstaat völlig im Regen stehen.

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