Wirkliche Begeisterung kommt für Putin nicht mehr

Mit Demokratie hat Putins Wahlshow nur am Rande zu tun.
Mit Demokratie hat Putins Wahlshow nur am Rande zu tun.APA/AFP/YURI KADOBNOV
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Mit Demokratie hat Putins Wahlshow nur am Rande zu tun. Sein System kennt keine Alternative. In Russland macht sich Apathie breit. Das birgt Gefahren.

In westlichen Medien werden häufig zwei Bilder der 18-jährigen Ära Wladimir Putins gezeichnet: Russland sei voll von Putin-Anhängern, für die es keinen besseren Landesvater als diesen einen geben könne. Oder aber das genaue Gegenteil: Das Land bestehe größtenteils aus Unzufriedenen, Oppositionellen und prononcierten Kritikern, die an dem Langzeitstaatschef kein gutes Haar lassen. Und beide beanspruchen für sich, das wahre Russland zu repräsentieren.

Das wahre Russland sieht freilich häufig so aus, wie man es selbst gern sehen möchte. Für die einen sind es die viel zu oft bemühte russische Seele und ein speziell russischer Nationalcharakter, der einen starken Anführer und die selbstlose Aufopferung des Volkes verlange. Die anderen sehen in dem Flächenstaat das dunkelste aller Länder, in dem man bei jedem kleinsten Aufmucken sofort verfolgt wird.

Die Realität ist wie so oft komplizierter. Ein Beispiel: Vor knapp zwei Wochen versammelten sich mehr als 100.000 Menschen im Moskauer Stadion Luschniki bei Minusgraden und warteten stundenlang, um schließlich einer zweiminütigen Rede des Präsidenten zu lauschen. Das Staatsfernsehen produzierte bombastische Bilder, in denen Massenbegeisterung, Patriotismus und Einmütigkeit geradezu greifbar waren – und die Kritiker hatten wieder einmal die Bestätigung, dass in diesem Staat autoritäre Massenhysterie bereits Realität ist.

Was viele nicht sahen: Kurz nach Putins Rede trollte sich die nur mittelmäßig begeisterte Masse ziemlich schnell. Der Präsident hatte gesprochen, die Nationalhymne war gesungen, Pflicht erledigt.

Es ist eine Szene, die paradigmatisch für das Verhältnis vieler Russen zu ihrem Präsidenten ist. Klar ist man für Putin. Für wen denn sonst? Häufig dient die Putin-Begeisterung einem guten Zweck: dem persönlichen Selbstzweck. Putin steht für das Versprechen, dass das Leben ein bisschen besser werden möge. Putin, das ist Begeisterung, ohne eine Alternative zu haben. Ohne ihn kann es nur schlechter werden, davon sind viele hier überzeugt. Nach 18 Jahren gibt es sowieso niemanden, der an ihn herankommen kann. Selbst wenn man nicht überzeugt von Wladimir Putin ist, kann man nur schwer gegen ihn sein.

Auch das System spürt mittlerweile den Mangel an Euphorie. Der Kreml ist besorgt. Bei der Wahl am Sonntag stellt der Rückzug der Bürger aus dem öffentlichen Leben plötzlich ein Problem dar. Schließlich geht es um die Herstellung von Legitimität, und diese ist nur mit einer angemessenen Wahlbeteiligung gegeben. Wenn genügend an die Urnen schreiten, finden sich auch genügend Putin-Wähler, so die Rechnung des Kreml. Dass vielen die Präsidentenwahl gleichgültig ist, hat die Staatsmacht selbst zu verschulden. Schließlich hat sie in den vergangenen 18 Jahren alles dafür getan, um das politische System von „Störfaktoren“ zu befreien. Man hat Kandidaten ausgeschlossen, sich Pseudopolitiker herangezogen, Protestbewegungen unterdrückt. Am Ausmaß der Wahlbeteiligung wird letztendlich abzulesen sein, wie viel Mobilisierungsmacht die Polittechnologen tatsächlich über das Volk haben. Aber man sollte auch das nicht mit Begeisterung verwechseln.


Wer am Sonntagabend auf groß angelegte Proteste hofft, begeht ebenfalls einen Denkfehler. Die meisten russischen Bürger sind der Wahlshow müde. Hier entscheidet sich nichts, das wissen sie. Andererseits: Putin kann eine Wahl gewinnen, aber kann er unter Ausschaltung der Bürger regieren?

Dass der Kreml das kann, hat er in den vergangenen 18 Jahren eindrucksvoll bewiesen. Und doch könnte mittlerweile ein kritischer Punkt erreicht sein. Denn zu viel Ausschluss und zu viel Apathie sind nicht förderlich, wie man in den letzten Wochen gesehen hat.

Es kann gut sein, dass man in den nächsten sechs Jahren wieder intensiver den Kontakt zum Volk suchen wird. Bürgernähe und gelenkte Partizipation werden in Großstädten wie Moskau in einzelnen Projekten derzeit ausprobiert. Mit echter Demokratie sollte aber auch das nicht verwechselt werden.

E-Mails an:jutta.sommerbauer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2018)

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