Vorwürfe

Wie lauten die Vorwürfe?

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Es gibt eine Reihe von Vorwürfen: Auf der einen Seite jene der Staatsanwaltschaft gegen BVT-Beamte, auf der anderen Seite gegen die Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums selbst. Der Reihe nach.

Die Causa Lansky

Themenkomplex eins dreht sich um ein Verfahren des Rechtsanwalts Gabriel Lansky. Genauer gesagt: die nicht erfolgte Löschung der Daten, nachdem das Verfahren eingestellt worden war. Das Verfahren gegen Lansky hängt unmittelbar mit einem der spektakulärsten Kriminalfälle der jüngeren Geschichte zusammen: Dem früheren kasachischen Botschafter in Österreich Rachat Alijew, gleichzeitig in Ungnade gefallener Ex-Schwiegersohn des kasachischen Staatspräsidenten, war von Kasachstan ein Doppelmord an zwei Bankern vorgeworfen worden. Nach langem juristischen Tauziehen entschied Österreich, den Ex-Diplomaten aufgrund mangelnder Rechtsstandards nicht an sein Heimatland auszuliefern, sondern das Verfahren in Österreich durchzuführen. Zu einem Abschluss des Verfahrens kam es nicht mehr: Alijew beging kurz vor seiner Einvernahme in Untersuchungshaft Suizid.

Lansky spielte in der Causa eine wesentliche Rolle: Er vertrat den Verein Tagdyr, offiziell ein Opferhilfeverein für die Witwen der ermordeten Banker. In dieser Funktion trachtete er erst, die Auslieferung Alijews an Kasachstan durchzusetzen, später, die österreichische Justiz mit Munition zu versorgen. Diese Darstellung seiner Rolle wollten viele nicht glauben: Woher sollten Bankerwitwen aus Kasachstan die Mittel haben, sehr umfangreiche Aktivitäten eines Wiener Staranwalts zu finanzieren? Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung hatte einen anderen Verdacht: In Wahrheit stecke der kasachische Geheimdienst hinter dem Verein Tagdyr. Und Lansky betreibe damit die Geschäfte eines ausländischen Geheimdienstes in Österreich.

Im Jahr 2012 wurden Ermittlungen aufgenommen, die anfangs auch gegen Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) geführt wurden. Gusenbauer hat einen Beratervertrag mit der kasachischen Regierung, das Verfahren gegen ihn wurde rasch eingestellt. Die Ermittlungen gegen Lansky gingen weiter, wobei die Staatsanwaltschaft einen nicht unumstrittenen Schritt setzte: Sie beschlagnahmte die Daten der Kanzlei Lansky, Ganzger und Partner, die sich auf einem Server in Luxemburg befanden.

Gleichzeitig kam ein Teil dieser Daten auch an die Öffentlichkeit: Sie wurden verschiedenen Medien, etwa dem „Spiegel“, sowie Anwälten von Alijew zugespielt – angeblich von einem unzufriedenen Ex-Mitarbeiter der Kanzlei.

Im März 2016 wurde das Verfahren gegen Lansky eingestellt. Laut einem Beschluss des Oberlandesgerichts Linz gab es keine objektiven Beweisergebnisse, dass der Opferverein Tagdyr eine Tarnorganisation des kasachischen Geheimdienstes ist. Der Staatsanwaltschaft sei es auch nicht gelungen, Lansky „konkrete, tatbildliche Verhaltensweisen“ anzulasten. Damit hätten die beschlagnahmten Serverdaten gelöscht werden müssen. Das ist nicht passiert, vermutet die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nun aufgrund von Zeugenaussagen.

Die Passaffäre

Themenkomplex zwei: die Passaffäre. Alles begann mit einem Auftrag an die Staatsdruckerei im Jahr 2015, die seit dem Jahr 2000 voll privatisiert ist. Das nordkoreanische Regime bestellte die Lieferung und Herstellung von 200.000 biometrischen Reisepässen. Das Wirtschaftsministerium genehmigte das auch. Dem BVT kamen 30 Musterexemplare zu – dabei handelt es sich um Passexemplare ohne Personendaten und ohne Passnummer, demnach ohne Ausweis- und Urkundencharakter. Drei dieser Exemplare wurden dann von südkoreanischen Sicherheitsbehörden angefordert. Die Argumentation: Um Grenzbeamte zu schulen, wie derartige Ausweise aussehen.

Erstmals berichteten Medien darüber Ende Oktober 2017 – das Innenministerium beurteilte die Vorgänge als rechtskonform. Ebenso der Rechtswissenschaftler Bernd-Christian Funk. Argumentiert wurde das von BVT-Direktor Peter Gridling auch insofern, als dass Agenten des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un immer wieder ins Nachbarland eindringen, um nordkoreanische Flüchtlinge zu entführen. Folglich habe der Grenzschutz und die Enttarnung falscher Pässe für Südkorea große Relevanz. Auch das Bundeskriminalamt prüfte die Vorgänge und stellte fest, dass die Weitergabe an sich in Ordnung sei.

Mehrere Monate nachdem das Thema eigentlich schon vom Tisch war, kommt es erneut zu Ermittlungen – und schließlich zu Suspendierungen. In einem anonym bei Staatsanwaltschaft und Medien deponierten Pamphlet wird der Vorwurf laut, dass es im Gegenzug auch Einladungen zu Reisen nach Südkorea inklusive Geschenkannahme gegeben hat. Auch „Die Presse“ recherchierte und zumindest bei einigen der genannten Personen ist evident, dass sie nie in Südkorea waren.

Zumindest eine Reise nach Südkorea einiger Beamten habe es aber gegeben – diese war aber eine völlig normale Dienstreise, heißt es. Ein Beamter soll später allerdings noch einmal nach Südkorea geflogen sein – ob das eine Privatreise war oder eine Dienstreise und was dort passiert ist, ist wohl Teil der Ermittlungen.

Die Staatsanwaltschaft

Themenkomplex drei: die Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft. Das BVT ist Österreichs Inlands-Nachrichtendienst und somit eine der sensibelsten Behörden der Republik. Dort mit einer Polizeitruppe einzumarschieren und Daten zu beschlagnahmen, kann die Behörde nachhaltig beschädigen - vor allem was deren Reputation mit ausländischen Nachrichtendiensten betrifft. Und auf die Zusammenarbeit mit diesen ist das BVT angewiesen. Insofern wird die Vorgehensweise der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft auch im Justizministerium äußerst kritisch gesehen.

Generalsekretär Christian Pilnacek hat in einem Interview schon gesagt, er hätte für den Einsatz gelinderer Mittel gesorgt. Pilnacek wurde im Vorfeld aber nicht informiert, was angesichts der Dimension der Angelegenheit ungewöhnlich ist.

Die Hausdurchsuchung

Im BVT laufen viele sensible Daten zusammen, unter anderem jene des Extremismus-Referats. Dass auch diese beschlagnahmt wurden, sorgte für gehörige Kritik, vor allem angesichts der politischen Umstände: Das Extremismus-Referat hat auch freiheitliche Funktionäre am Radar, die jetzt im Innenministerium den Ton angeben. Dass die Hausdurchsuchung nicht von den zuständigen Stellen der Polizei durchgeführt wurde, sondern von der Einsatzgruppe gegen Straßenkriminalität, die von einem freiheitlichen Gemeinderat geführt wird, sorgte für zusätzliche Kritik. Das Innenministerium betont, dass die Polizei die Staatsanwaltschaft unterstützte und keinen Zugriff auf die Daten hatte.

Umfärbung im BVT?

Der Hauptvorwurf an den Innenminister und sein Kabinett lautet: Er nehme die Affäre zum Anlass, den Nachrichtendienst umzufärben. Schließlich ist die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Anzeige aus dem Kabinett des Innenministers aktiv geworden. Als Kickl Innenminister wurde, war die Führungsfrage an sich entschieden: der Vertrag von BVT-Chef Gridling lief zwar aus, doch eine Nicht-Verlängerung hätte ihm drei Monate vor Ablauf mitgeteilt werden müssen. Und das hat Kickls Vorgänger Wolfgang Sobotka (ÖVP) nicht gemacht. Kickl hat vorerst den vorgesehenen Weg eingeschlagen und dem Bundespräsidenten eine Verlängerung Gridlings vorgeschlagen. Alexander Van der Bellen hat die Bestallungsurkunde unterzeichnet - aber Kickl hat diese vorerst nicht weiter gegeben. Als dies bekannt wurde, hat Kickl Gridling doch noch bestellt, aber gleichzeitig suspendiert. Gerüchten zufolge soll der Nachfolger schon feststehen: Kabinettsmitarbeiter Udo Lett, der pikanter weise selbst Zeugen gegen Gridling als Vertrauensperson zur Staatsanwaltschaft begleitet hat.

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