Gastkommentar

Ein Kopftuchverbot für Schülerinnen bringt gar nichts

Besser als Zwangsmaßnahmen wären Aufklärung und Information.

Längst sind alle des Dauerbrenners Kopftuch überdrüssig, Musliminnen und Nicht-Muslime. Dennoch finden sich immer wieder Politikerinnen und Kommentatoren, die das Thema neu erfinden wollen. Ganzkörperverhüllungsverbote hat man schon hingekriegt, um die rechte Hälfte der Gesellschaft zufriedenzustellen. Jetzt geht es um Bedeckungsverbote in Schulen. Oder es geht fantasievoll nicht um Verbote, sondern um Forderungen nach kopftuchfreien Arealen, was in der gelebten Praxis auf das Gleiche hinausläuft.

Jetzt werden also Kinder instrumentalisiert, um muslimfeindliche Positionen zu begründen, gern auch mit Einzelfällen argumentierend, die dann zum Anlass für Bevormundungen von allen genommen werden. Es sei daran erinnert, dass Minderjährige unter der Obhut ihrer gesetzlichen Vertreter stehen, die für sie verantwortlich sind. Idealerweise werden Kinderwünsche bis zur Volljährigkeit innerfamiliär und diskursiv in Entscheidungsfindungen mit einbezogen.

Kinder gleichen sich gern Erwachsenen an, spielen erwachsen. Kleine Mädchen lieben es, die Kleider der Mütter zu tragen. Irgendwann kann sich das umdrehen, etwa in der Pubertät. Jugendliche wollen dann das genaue Gegenteil von dem, womit die Eltern glücklich wären. Innerfamiliäre Differenzen und Lernprozesse sind normal und müssten eigentlich bei allen Erinnerungen an die eigene Biografie wecken.

Nicht durchdachtes Verbot

Forderungen nach staatlicher Durchsetzung von Kleiderordnungen sind nicht durchdacht. Was ist mit den Bedeckungen von Juden und Sikhs, was ist mit Perücken und Hauben im Winter? Selbst wenn mittels juristischer Spitzfindigkeit belastbare Verbalkonstruktionen gefunden werden können, löst ein Verbot kein Problem, führt vielleicht zur Abschottung. Denn Eltern können die Töchter auch in Privatschulen schicken. Segregation ist aber das Gegenteil von Integration, die politisch vorgeblich gewollt wird. Auch würde bereits kleinen Kindern vermittelt, dass freie Religionsausübung in Österreich nicht selbstverständlich ist.

Glauben kann man nicht üben

Besser als Zwang wären Aufklärung und Information. Wenn der politische Wille es zuließe, könnten durch Überzeugungsarbeit von Schulen, Beratungsstellen, Sozialarbeitern – mit medialer Unterstützung – im Meinungsaustausch mit muslimischen Familien sozialisierte Geschlechterrollen und Bekleidungspraktiken diskutiert und Lösungen gefunden werden.

Was in der Debatte selbst von nichtreligiösen Meinungsbildnern gern übersehen wird, ist, dass man einen Glauben, der auf Transzendenz beruht, nicht einfach schulisch vermitteln und ausprobieren kann wie Basteln und Stricken. In einem konfessionsübergreifenden Unterricht alle Kinder Kopftücher wickeln zu lassen, die sie dann in der Schule nicht tragen dürfen? Zum besseren Verständnis aller? Vielleicht anschließend konfessionsübergreifend wie in der katholischen Messe Wein trinken und Hostien probieren, damit alle wissen, wie der Leib und das Blut Christi schmecken? Zum besseren Verständnis der Transsubstantiation?

Klingt absurd? Dann müsste auch klar sein, dass man religiösen Glauben nicht üben kann wie Rechtschreibung und Grammatik. Aber man kann lernen, respektvollen Umgang mit Andersdenkenden, Andersgläubigen und Andersgekleideten zu pflegen. Genau das zu vermitteln, wäre eine der Aufgaben der Bildungsinstitutionen in einer multikonfessionellen Gesellschaft.

Dr. Ingrid Thurner (* 1954) ist Ethnologin und Publizistin, außerdem Lehrbeauftragte am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2018)

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