Sollten wir die Aufklärung neu denken?

Mit der Klangschale in der Hand am Toten Meer.
Mit der Klangschale in der Hand am Toten Meer.(c) REUTERS (Ronen Zvulun)
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2018, und es wimmelt von radikal irrationalen Bewegungen. Die Unmündigkeit, in die wir uns freiwillig begeben, nimmt bizarr-gefährliche Züge an.

Nicht erst heute zeigt sich, dass die Macht der Vernunft weniger durchschlagend ist, als man erwarten durfte. Bereits vor mehr als zehn Jahren, 2005, schildert Paul Bloom, Psychologe an der Yale University, in der Zeitschrift „The Atlantic Monthly“ die amerikanische Glaubenssituation gemäß den Statistiken. Weit über die Hälfte der US-Bürger glaubt an Engel und den Teufel, eine Minderheit an Darwin. Dabei ist die oft behauptete Differenz zwischen Amerikanern und Europäern vermutlich nicht so groß, wie sie auf den ersten Blick scheint. Umfragedaten in Österreich zeigen, dass stärker an Wunder geglaubt wird als an den Urknall (woran der Tod von Stephen Hawking wohl nur kurzfristig etwas ändern dürfte).

Der unglaubliche Aufschwung an Sekten, Esoteriken, verspielten bis harten Formen des Aberglaubens, ferner die erneute Attraktivität des religiösen Fundamentalismus lassen Kommentatoren fürchten, wir stünden mitten im rationalen Westen am Vorabend einer neuen Re-Mythologisierung. Deren antiliberale Tendenzen könnten gut zusammengehen mit den modernen Formen einer „domestic surveillance“, des elektronischen Überwachungsstaates, der auf die Totalisierung der Kontrolle über den Einzelnen dringt.

Obskur. Das ganze vergangene Jahrhundert hindurch haben sich neue Religionen gebildet. Viele von ihnen sind kleine Sekten geblieben, einige jedoch rasch gewachsen. Dabei scheint es weniger auf die religiösen Inhalte anzukommen, die meist aus älteren Beständen zusammengestoppelt und nicht selten obskur sind, man denke an die Scientology-Sekte; worauf es vor allem ankommt, ist das Gemeinschaftserlebnis, welches die neureligiösen Bewegungen ihren Mitgliedern verschaffen.

Heute gibt es weltweit Hunderte von christlichen und islamischen Glaubensgruppen mit zum Teil hoher Anfälligkeit für schauderhaft Mittelalterliches und grobschlächtig Mystizistisches. Und je kultivierter die angestammten Großkirchen werden, indem sie sich der Aufklärung und Moderne nicht verschließen wollen, umso lebhafter gedeihen an den Rändern radikal irrationale Bewegungen, die ungesättigte religiöse Bedürfnisse auffangen und absättigen.

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