Innsbruck: Zweimal Olympia, und was jetzt?

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1964 und 1976 hat Innsbruck Olympische Winterspiele ausgetragen. Geblieben ist die Identitätssuche einer Stadt – und der Wunsch nach dritten Spielen.

Mitten zwischen acht- und zehnstöckigen Wohnblöcken aus Stahlbeton mit zugigen Eingängen, in denen es schon hie und da nach Urin und Zigaretten riechen kann und in denen der Föhn Laub durchs Stiegenhaus wirbelt, steht ein betonierter Sockel mit fünf metallenen Ringen. Den olympischen Ringen. Hier leben also die Winterspiele fort. Hier, zwischen Wohnblöcken, die an realsozialistische Wohnträume in den Randbezirken Ostberlins erinnern, soll das Herz von Innsbruck 1964 und 1976 sein: das Olympische Dorf. Wohnsilos, heute selbst von Studenten gemieden, sind der zentrale Erinnerungsort an zwei Olympische Winterspiele in Innsbruck.

Das „O-Dorf“ – das klingt in den Ohren der Innsbrucker nach Ghetto, nach FPÖ-Hochburg, nach Sozialhilfeempfängern. Wer es sich leisten kann, lebt in Innsbrucks Zentrum, auf den Sonnenhängen der Hungerburg oder in einer Seitenstraße des Villenviertels Saggen. Jenes Innsbruck, das die Touristiker Gästen gern verkaufen wollen, liegt östlich des Olympiadorfes: die bunten Häuserfassaden am Innufer, hinter denen auf Postkarten die markanten Schneeberge der Nordkette digital ins Bild gerückt werden; die kleine, wenngleich sehenswerte Altstadt mit ihren gemauerten Bögen und dem Goldenen Dachl; die Maria-Theresien-Straße, die Schmuckstraße der Stadt, die im Moment neu aufgemöbelt wird.


Teures olympisches Erbe. Rund um dieses Stadtzentrum wird gebaut, als sei das Wort „Wirtschaftskrise“ ein Hirngespinst. Größte Baustelle: Der Innsbrucker Unternehmer René Benko kaufte das marode „Kaufhaus Tyrol“, ließ den britischen Stararchitekten David Chipperfield den Zeichenstift ansetzen – in wenigen Wochen lädt der Bauherr zur Eröffnung.

Nur: Wo ist Olympia? Wo sind die Spuren der Weltereignisse, die Politiker gern mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ verknüpfen, wenn sie nach dritten Spielen rufen? Was brachte Innsbruck das olympische Doppelpack?

1964, während der ersten Olympiade in der Tiroler Landeshauptstadt, schrieb der Historiker Michael Forcher für ein Innsbrucker Wochenmagazin, heute ist er Experte für die Innsbrucker Stadtgeschichte. Was für ihn die Spiele bedeuten? „Jene von 1964 sorgten für einen ungemeinen Innovationsschub. Es war plötzlich Geld da, das zuvor nicht da war.“ Forcher erzählt vom olympischen Dorf, dessen damals neuartige Bauweise rasch in Verruf geriet, und von Sportanlagen, die entweder völlig neu errichtet – wie die Eishalle – oder umfassend ausgebaut wurden, wie die Bergiselschanze.

Über die zweiten Spiele von 1976 sagt Forcher: „Die Begeisterung war schon bei Weitem nicht mehr so groß wie jene 1964. Der Ruf nach einfachen, günstigen Spielen war laut geworden.“

Ein im Stadtbild markantes Relikt der beiden Spiele steht im Süden Innsbrucks, gleich hinter dem Frachtenbahnhof. Am Ostende der skandalträchtig errichteten Olympiabrücke steht die Olympiahalle wie ein großer, grauer Klotz. In der neuen Glasfassade spiegeln sich die Berge der Nordkette.

Was sich rund um die Halle abspielt oder abspielen sollte, ist heute regelmäßig Stoff politischer Debatten: Einerseits buhlt die Stadt – notgedrungen – permanent um Großveranstaltungen, die für Auslastung sorgen sollen. Andererseits jammern politisch Verantwortliche über Kosten, die dieses Erbe der Olympischen Spiele verursacht. In einer Prüfung der Innsbrucker Olympiaworld, die Bobbahn, Eishallen, Fußballstadion und Trainingsstätten bündelt, stellte der Landesrechnungshof 2008 einen Zuschussbedarf von 24,6 Millionen Euro binnen sechs Jahren fest. Das jährliche Finanzloch bezifferten die Prüfer mit 4,5 Millionen Euro.

Innsbrucks Ansprüche, Weltstadt sein zu wollen, schicken die Stadt geradewegs in ein Dilemma: Das Erbe der Spiele, die Olympiaworld, ruft nach Auslastung, nach immer neuen Veranstaltungen, die wiederum Geld kosten, die aber andererseits die Betriebskosten rechtfertigen sollen. Den Winterspielen folgten zwei Eishockey-Weltmeisterschaften, Dutzende Bob- und Rodelweltcups, die Universiade, eine Handball-Euro – und vieles, vieles mehr. Innsbruck buhlt um alles, glaubt, dem Ruf als Sportstadt durch eine inflationäre Veranstaltungspolitik gerecht zu werden. Der Plan eines Büros, in dem nachhaltige Sportkonzepte erarbeiten werden sollen, verschwand in den Tiefen einer Schublade.

Für 2012 stehen die ersten Olympischen Jugendwinterspiele an, ein Prestigeprojekt des Internationalen Olympischen Komitees, dessen Kosten bereits zwei Jahre vor dem Start zu explodieren drohen: War anfangs von 15 Millionen Euro die Rede, rechnet Innsbrucks Bürgermeisterin Hilde Zach (von der „Für Innsbruck“-Liste des Ex-Landeshauptmannes Herwig Van Staa) bereits jetzt mit bis zu 20 Millionen, was zu einem Eklat zwischen Stadtführung, Land und Sportministerium geführt hat. Sportminister Norbert Darabos (SPÖ) sprach von einer „nationalen Schande“, sollte Innsbruck deswegen kalte Füße bekommen.


Eine Stadt erneuert sich. Innsbruck, das bedeutet auch rund vier Millionen Touristen pro Jahr, von denen viele nach einer Erhöhung im Süden der Stadt suchen: dem Bergisel. Der Bergisel, für Patrioten nach den vier Bergiselschlachten von 1809 eine Art heilige Stätte des Tirolertums, ist für Besucher der Stadt vor allem eines: ein Skisprungstadion. Seit 1954 zählt Innsbruck als Station zur Vierschanzentournee; zu den Olympischen Spielen 1964 wurde ein erster Betonturm aufgestellt; seit 2002 steht am selben Platz ein künstlerisch beleuchteter Turm der irakischen Stararchitektin Zaha Hadid.

Die Bergiselschanze wurde anfangs wegen ihrer hohen Kosten (15,4 Millionen Euro) kritisiert, als Denkmal des damaligen Innsbrucker Bürgermeisters und späteren Landeshauptmanns Herwig van Staa belächelt – nur: Langsam scheint sich ein Wandel in der Wahrnehmung abzuzeichnen. Die Bergiselschanze, die von Architekturkritikern hoch gelobt wurde, symbolisiert zusammen mit dem Rathaus einen architektonischen Wandel der Stadt.

Mit den Spielen von 1964 und 1976 hat die heutige Sprunganlage dennoch wenig gemein: Bis auf die betonierten Sitzränge und die olympischen Ringen samt Feuerschale, die am Nordrand des Kessels thronen, wurde das Bauwerk zwischenzeitlich durchwegs neu herausgeputzt. Höhepunkte ihrer post-olympischen Nutzung waren eine Messe von Papst Johannes Paul II. im Juni 1988, die Vierschanzentournee sowie der Air&Style Snowboard-Contest.

Zuletzt wehte 2005 ein Hauch von Olympia durch die Straßen Innsbrucks: Die Stadt lud gemeinsam mit Seefeld zur Winter-Universiade, einer Art Winterspiele für Studenten. Mit solchen Minispielen – aktuell mit den Weltjugendspielen – versuchen Stadt und Land, sich beim Internationalen Olympischen Komitee im Gespräch zu halten. Insgeheim träumt die Politik nämlich weiterhin von dritten Spielen – wenngleich nun nach außen suggeriert wird, die Jugendspiele 2012 seien ja eh schon „richtige Spiele“.

Was dritte Spiele bringen würden, darüber scheiden sich nach zwei ablehnenden Volksbefragungen die Geister. Historiker Michael Forcher fürchtet, der Effekt läge „noch weit unter jenen von 1976, und bereits damals waren die Spiele nicht unumstritten“.

Erich Thöni, Finanzwissenschaftler und Sportökonom an der Universität Innsbruck, gilt als profunder Kenner der Spiele von 1964 und 1976. Olympische Spiele, erklärt er, ließen sich nicht allein an quantitativen Zahlen wie Fernsehminuten, Investitionsvolumina oder Werbewerten festmachen. Thöni verweist auf „intangible Effekte“: Auswirkungen, die sich jeglicher ökonomischen Bewertung entziehen. Wie ließe sich etwa die Feststellung: „Es war ein Riesenerlebnis!“ in Zahlen ausdrücken?

Innsbruck sucht trotz zweifacher olympischer Vergangenheit, Dutzenden Weltmeisterschaften und Europameisterschaften nach wie vor seine sportliche Identität. Die politische Klasse glaubt seit Jahrzehnten, Fortschritt in immer neuen Großveranstaltungen suchen zu müssen. Der eigentliche Star jedoch, meint Historiker Forcher, könne nur Innsbruck selbst sein: „Eine Stadt mit so viel Geschichte und Kultur mitten in den Bergen – wo sonst gibt es das?“

Den Titel „Sporthauptstadt Tirols“ sicherte sich längst eine ganz andere Stadt, ganze ohne Olympische Spiele, wenngleich es eine erfolglose Bewerbung gab: Kitzbühel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2010)

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