Shoppingcenter als Todesfalle

Eine ausgeschaltete Alarmanlage, blockierte Notausgänge: Der Brand erfasste rasch das gesamte Einkaufszentrum Winterkirsche in Kemerowo.
Eine ausgeschaltete Alarmanlage, blockierte Notausgänge: Der Brand erfasste rasch das gesamte Einkaufszentrum Winterkirsche in Kemerowo.imago/ITAR-TASS
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Mehr als 60 Menschen, darunter zahlreiche Kinder, wurden bei einem Brand in einem Einkaufszentrum im sibirischen Kemerowo getötet. Ursache: Sicherheitsmängel und Schlamperei.

Moskau. Blumen vor dem Rathaus, Stofftiere auf den Parkbänken, die Bilder von vermissten Kindern an den Wänden: Am Montag hielten die Bewohner der sibirischen Stadt Kemerowo eine Gedenkminute für die bisher mehr als 60 Opfer eines Brandes in einem Einkaufszentrum ab. Es waren weit mehr Tote zu beklagen, als zunächst angenommen. Eine Schulklasse war zum Zeitpunkt des Brandes im Kino. Acht Schüler sollen nicht überlebt haben. Mehrere Menschen stürzten sich aus Angst vor den Flammen aus den Fenstern der oberen Stockwerke.

Das Feuer war am frühen Sonntagabend im vierten Stock des Einkaufszentrums ausgebrochen. Es erfasste in kurzer Zeit eine Fläche von rund 1600 Quadratmetern. Das Shoppingcenter Simnjaja Wischnja (Winterkirsche), das wegen seines Kinos und eines Tiergeheges besonders bei Familien beliebt ist, ist 2013 in der Industriestadt rund 3000 Kilometer östlich von Moskau im Kusbass, dem größten Kohlerevier des Landes, eröffnet worden.

Überlebende berichteten von dramatischen Szenen: Es habe keinen Feueralarm gegeben, die Eingangstüren des Kinos seien verschlossen gewesen. Mitarbeiter des Einkaufszentrums hätten kaum Maßnahmen zur Rettung ergriffen, die Notausgänge seien blockiert gewesen. Als die Türen aufgingen, seien die Korridore bereits voller Rauch gewesen. Ermittler erklärten, die Alarmanlage sei abgeschaltet gewesen.

„Wir brennen. Macht's gut“

Ein Mädchen rief aus dem brennenden Kinosaal angeblich noch seine Eltern an und verabschiedete sich mit den Worten: „Wir brennen. Ich liebe euch, macht's gut. Ich kann nicht atmen.“ Ein Elfjähriger sei aus dem vierten Stock gesprungen, sagte Gesundheitsministerin Veronika Skworzowa beim Besuch des örtlichen Krankenhauses. Seine Eltern und der jüngere Bruder überlebten das Feuer nicht.

Mehr als 500 Feuerwehrleute waren im Einsatz und retteten Dutzende Menschen aus dem Gebäude, als zwei der drei Kinosäle einstürzten. Sie brachten das Feuer weitgehend unter Kontrolle, die Flammen flackerten jedoch auch Stunden später immer wieder auf. Nach ersten Untersuchungen soll ein defektes Kabel den Brand ausgelöst haben. Die Ermittler folgten jedoch auch einer Spur, wonach eine Gruppe Teenager mit einem Feuerzeug gespielt und Sitzmöbel in Brand gesteckt haben soll.

Bei der Suche nach der Brandursache kursierten Berichte über mangelhaften Brandschutz. Das Versagen aller Sicherheitsvorkehrungen sei eindeutig auf Schlamperei und Fahrlässigkeit zurückzuführen, sagte die Kinderbeauftragte der Regierung, Anna Kusnjezowa. Die Bestimmungen seien nicht eingehalten werden. „Der eigentliche Grund für diese Katastrophe ist nicht irgendein Kabel, sondern, wie wir mit den Bestimmungen umgehen“, betonte Kusnjezowa. „Es ist ein Signal: Wir müssen alle Einkaufszentren überprüfen.“

Vier Festnahmen

Experten kritisierten auch Baumängel am Einkaufszentrum und die schlechte Qualität der Einrichtung im Gebäude, die zu schnell Feuer fangen könne. Wenige Stunden nach dem Brand wurden vier möglicherweise Verantwortliche festgenommen, darunter der Direktor des Einkaufszentrums.

Immer wieder ist es in Russland zu verheerenden Bränden gekommen. Zu Jahresbeginn starben mehr als ein Dutzend Gastarbeiter in einer Schuhfabrik in Nowosibirsk. Vielen Russen ist auch die Tragödie von Perm im Jahr 2009 noch in Erinnerung: Nach einer missglückten Feuershow in einem Nachtclub starben mehr als 150 Menschen – die meisten waren erstickt oder zu Tode getrampelt worden. Die Regierung in Moskau rief eine dreitägige Staatstrauer aus, Präsident Wladimir Putin drückte den Angehörigen sein Mitgefühl und Beileid aus. (ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2018)

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