Warum Österreich keine russischen Diplomaten ausweist

Ministerin Kneissl und Kanzler Kurz sind in der Russland-Frage einig.
Ministerin Kneissl und Kanzler Kurz sind in der Russland-Frage einig.APA/HERBERT NEUBAUER
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Fast alle EU-Staaten weisen wegen der britischen Giftaffäre zumindest einen russischen Diplomaten aus oder denken darüber nach. Außenministerin Karin Kneissl erklärt, warum Österreich im Gegensatz zu den Visegradstaaten nicht mitzieht.

Ungarn, Polen, Tschechien - drei der vier Visegradstaaten wiesen aus Solidarität mit Großbritannien nach dem Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal einen russischen Diplomaten aus. Die Slowakei ist nur wegen der schweren innenpolitischen Krise etwas vorsichtiger. Nur wenige Länder verweigern sich der Maßnahme, manche geben an noch abzuwarten. Auch die Nato entzog mehreren russischen Diplomaten die Akkreditierung. Für Österreich steht allerdings fest, man wolle keine Diplomaten ausweisen - selbst wenn man schließlich als einziges EU-Land mit dieser Position dastehen sollte.

Für Außenministerin Karin Kneissel (von der FPÖ nominiert) hat die Entscheidung der Regierung verteidigt. Gegenüber der Austria Presse Agentur forderte sie am Dienstag eine "volle Aufklärung der Sachverhalte". Selbst wenn sich herausstelle, dass Russland für den Anschlag von Salisbury verantwortlich sei, werde sich Österreichs Haltung wahrscheinlich nicht ändern.

Doch in der Situation sei Österreich noch nicht, "das ist reiner Konjunktiv", betonte Kneissl, die sich gerade auf einer Tour durch Südosteuropa befindet. Unter den gegenwärtigen Umständen sei jedenfalls die "Aufrechterhaltung aller Kommunikationskanäle wesentlich". Gerade in schwierigen Zeiten müsse man "Vermittler" sein und den Dialog aufrechterhalten, sagte die Außenministerin mit Verweis auf die österreichische Neutralität.

"Brückenschlagfunktion"

Es gehe nun um Aufklärung, denn der endgültige Beweis, dass die "Kausalität bei Russland liegt", sei noch immer nicht erbracht, sagte Kneissl dann auch im Ö1-Morgenjournal. "Die Dinge sind im Fluss", Wien warte noch auf die Resultate der Expertenuntersuchungen, so Kneissl zu den Entwicklungen nach dem Giftanschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und dessen Tochter Julia im britischen Salisbury. Kneissl nannte - wie zuvor auch schon Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) - die "Brückenschlagfunktion" Österreichs als Argument. Dass selbst drei der vier Visegrad-Staaten Sanktionen gegen Russland befürworten, müsse man auch im Lichte der NATO-Mitgliedschaft sehen.

Warum Kneissl die gemeinsame Erklärung der EU-Außenminister unterschrieben habe, aber jetzt die Ausweisungen nicht mittrage? Das seien zwei unterschiedliche Dinge. Die Solidarität mit Großbritannien sei selbstverständlich gegeben, aber es sei jedem Staat selbst überlassen, bilateral nach eigenen Maßstäben zu reagieren. Die Ausweisung von vier Diplomaten in Deutschland und Frankreich sei auch eher "moderat" und "kein großer Paukenschlag".

Bundeskanzler Kurz und Ministerin Kneissl hatten Montagabend in einer gemeinsamen Aussendung betont: "Wir stehen hinter der Entscheidung, den EU-Botschafter aus Moskau zurückzurufen, werden aber keine nationalen Maßnahmen setzen."

Slowenien auf Österreich-Linie

Eines der wenigen Länder, dass sich in der EU noch gegen die Ausweisung von Diplomaten entschieden hat, ist Slowenien. Laut dem slowenischen Außenminister Karl Erjavec ist es zu früh, um über etwaige Maßnahmen zu entscheiden, weil zuerst der genaue Sachverhalt geklärt werden müsse. "Wir halten an der Position des EU-Rats fest, dass man feststellen muss, was tatsächlich geschehen ist", sagte Erjavec laut Medienberichten am gestrigen Montag. Der slowenische Chefdiplomat kündigte an, dass die Regierung am Donnerstag über das Thema diskutieren wird. Die Haltung Sloweniens ist Medienberichten zufolge nicht überraschend. Premier Miro Cerar zeigte sich bereits vergangene Woche nach dem EU-Rat zurückhaltend.

Seit dem Anschlag Anfang des Monats haben außer Großbritannien 17 weitere der insgesamt 28 EU-Staaten - darunter die als russlandfreundlich geltenden Staaten Tschechien und Ungarn - fast 60 russische Diplomaten ausgewiesen. Zuletzt schloss sich Australien dem internationalen Protest von USA, Kanada, Australien, Albanien, Mazedonien, Norwegen und der Ukraine an. Slowenien, die Slowakei und Portugal beispielsweise wollen mit einer Ausweisung russischer Diplomaten noch warten. Stefan Lehne, Experte vom Think Tank Carnegie Europe und langjähriger Diplomat, sagte gegenüber Ö1, er glaube nicht, dass Österreich mit seiner Haltung "am Ende alleine dastehen" werde.

(APA/Red.)

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