Das Terrornetzwerk scheint in dem politisch instabilen Land Fuß gefasst zu haben. Das trifft den Fremdenverkehr: Entführungen mehren sich, Besucherzahlen sinken.
Der Sand leuchtet goldgelb unter der tief stehenden Sonne. Es ist leer auf den Straßen von Chinguetti im Herzen Mauretaniens. Hamid Ould el- Khassem lächelt entschuldigend: „Normalerweise sind die Hotels voll um diese Jahreszeit.“ Eigentlich sollten nun Autos, Wohnwagen und Flugzeuge Touristen zu den Dünen bringen. Und auch die Dakar Rallye sollte im nahe gelegenen Atar haltmachen. Eigentlich. Nun aber schlendert lediglich eine kleine Gruppe Franzosen durch die Stadt, die seit 1996 als Weltkulturerbe auf der Unesco-Liste steht. „Alles die Schuld der al-Qaida“, sagt Touristenführer Hamid und schüttelt den Kopf.
Der Fremdenverkehr in Mauretanien steht unter dem Druck zunehmender terroristischer Bedrohung. Seit die Außenministerien westlicher Länder Reisewarnungen aussprechen, kommen in diesen Teil der Sahara immer weniger Besucher. Die Warnungen kommen nicht von ungefähr: Erst im Dezember 2009 wurde ein italienisches Paar entführt; Wochen zuvor drei Spanier einer Hilfsorganisation. Im August gab es zudem einen Bombenanschlag auf die französische Botschaft in der Hauptstadt Nouakchott, zu der sich die „al-Qaida im Islamischen Maghreb“ bekannte. Zwei Monate vorher wurde in Nouakchott ein US-Lehrer erschossen. In einem Bekennerschreiben hieß es, dass er den christlichen Glauben habe verbreiten wollen.
Saddams treue Verbündete
Al-Qaida scheint hier in den vergangenen Jahren Fuß gefasst zu haben. Die Bevölkerung jedoch hat Mühe, das Problem als ein mauretanisches zu sehen: „Die Gewalt kommt aus den Nachbarstaaten, aus Mali und Algerien, wo die al-Qaida zu Hause ist“, sagt Leila Chighaly. Die Dichterin und Journalistin stammt aus Chinguetti, lebt heute aber in Nouakchott. So wie sie denken viele hier.
Vor zwei Jahren hatte Abdelmalek Droukdel, Chef des nordafrikanischen al-Qaida-Ablegers, zum Djihad in Mauretanien aufgerufen. Droukdel baut auf die antiwestliche Stimmung im Gefolge des Irak-Krieges. Mauretanien hat sich stets als treuer Verbündeter von Saddam Husseins Regime präsentiert.
Ein guter Nährboden scheint auch die instabile politische Situation zu sein: Ein Putsch beendete 2005 eine 21-jährige Diktatur. Es folgten 2007 die ersten freien Wahlen seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960. Doch schon bald musste der Sieger das Feld wieder räumen, General Mohammed Ould Abdel Aziz gelang eine unblutige Machtübernahme, er ließ den rechtmäßigen Präsidenten verhaften. Auf Druck der Staatengemeinschaft und der Bevölkerung rief er im Juli 2009 zu Wahlen auf. Obwohl deren Rechtmäßigkeit umstritten ist, verschaffte sich der General damit Legitimation als Staatsoberhaupt. Auf internationaler Ebene suchte Aziz Anschluss an die arabische Welt, wettert unter iranischem Beifall gegen Israel.
„Das ist nicht Mauretanien“
Chinguetti leidet unter der Sicherheitslage, die als fragil gilt. „Fälschlicherweise“, meint Chighaly. „Es ist schlimm, was diese Terroristen anrichten. Das ist nicht Mauretanien, das sind nicht die Mauretanier. Wir sind ein freundliches Volk. Offen und gut“, sagt sie verzweifelt gestikulierend. Sie wisse um die Regeln des Islam, der keine Gewalt gutheiße. Sie fürchtet um den Ruf ihres Landes, verurteilt die Hetzschriften extremer Imame und warnt vor einer übertriebenen Darstellung der terroristischen Bedrohung.
Für Chinguetti in der Touristenprovinz Adrar sind die Entführungen ein reales Problem. Die Dakar Rallye wurde 2008 aufgrund von Sicherheitsbedenken abgesagt; die letzten zwei Jahre fand sie in Südamerika statt. Die Touristenführer in und um Chinguetti und Atar begrüßen die verschärften Sicherheitsmaßnahmen der vergangenen Monate. Militär- und Gendarmerieposten säumen die Touristenpfade. Der Verbleib von Besuchern wird streng protokolliert. Allerdings handschriftlich und ohne je aus der Einöde in ein zentrales Verwaltungssystem zu gelangen.
„Besser als nichts“, verteidigt Hamid diese Vorgehensweise, die nur bei Ausländern angewandt wird. Sie seien Ziel der Terroristen, insbesondere, wenn sie mit Hilfs- oder Medienorganisationen in Verbindung stünden. „Das erzeugt mehr Aufmerksamkeit“, zwinkert er. Davon bekämen die Terroristen ohnehin schon zu viel, stöhnt Chighaly. Sie sei es leid, dass ihr Land, ihre Leute und ihre Religion al-Qaida zum Opfer fielen.
DAS PROJEKT
■Das Autorenduo Anna Mayumi Kerber und Niels Posthumus durchquert auf dem Weg zur Fußball-WM im Juni in Südafrika den Schwarzen Kontinent von Marokko bis zum Kap der Guten Hoffnung. Bis zur WM wollen die Vorarlbergerin und der Holländer am Kap sein. Ihre Reiseberichte unter dem Motto „The Road to 2010“ erscheinen als Serie in der „Presse“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2010)