Papua-Neuguinea. In der Milne Bay suchen die Mantas Kontakt und handeln die Menschen mit Muscheln. In East New Britain speien Vulkane, beschwören Masken- und Feuertänze die Geister derselben, deutsche Kolonialzeit kommt hoch.
In Formation eines Kriegsgeschwaders gleiten die düsteren Geschöpfe auf die Taucher zu. Überdimensionale Fledermäuse im schwarzen Mantel. Die riesigen Mäuler weit geöffnet, als wollten sie alles verschlucken. Doch die meterlangen Flossen schlagen elegant und sanft. Und kurz vor der Kollision, fast Stirn an Stirn mit den Schnorchlern, drehen sie ab und tauchen eine Armlänge unter ihnen hindurch. Sie segeln Runden um ihre Besucher, schlagen Salti und zeigen ihnen dabei ihren weißen Bauch. Im Strudel von einem Dutzend Mantas scheint das Meer zu brodeln. Aber sie halten zuverlässig immer ein paar Handbreit Abstand. Das schürt Vertrauen in die sanften Riesen. Nach einer Stunde Mantakontakt zwischen den zwei kleinen Inseln Dekadeka und Gonubarabara hat sich die Welt verändert. Es ist, als wäre die Schallmauer zur Natur durchbrochen, als wären paradiesische Zustände zurückgekehrt, vor der Trennung von Mensch und Natur.
Papua-Neuguinea gilt als letzte Grenze der westlichen Zivilisation. In dem ozeanischen Inselreich zwischen Indonesien und Australien erleben Besucher ursprüngliche Kulturen und Naturwunder wie sonst kaum auf der Welt und teilen diese mit nur 20.000 Touristen pro Jahr. Das Land ist berühmt für die faszinierenden Masken, Körperbemalungen und Tänze seiner über 800 Völker. Weniger bekannt sind die exzellenten Tauchgründe im sogenannten Korallendreieck mit einer der höchsten Unterwasser-Biodiversitäten überhaupt. Auch fast verschüttet ist die deutsche Vergangenheit.
Die im Südosten gelegene Milne-Bay-Provinz ist geprägt von einem Riff- und Fischartenreichtum von Weltrang und 160 Inseln mit freundlichen Menschen in Hüttendörfern, Urwald und Stränden unter Kokospalmen. In der Region East New Britain hingegen rumoren und speien die Vulkane, beschwören nächtliche Masken- und Feuertänze die Geister derselben und wird die deutsche Kolonialzeit in einer Geisterstadt wieder lebendig.
Gestrandet und geblieben
Viele Schnorchelgänge ohne Mantas folgen. Zwischen Schwämmen mit riesigem Schlund, Anemonen-Wäldern, blauen See- und fransigen Federsternen tanzen regenbogenfarbene Papageien-, neonbunte Mandarin- und aufgeblasene Kugelfische, Seepferdchen, Wimpel- und Kaiserfische Ballett. Die bei jedem Tauchgang veränderte Unterwasserchoreografie sieht hin und wieder auch den Auftritt von Barrakudaschwärmen und Oktopussen, eines Riffhais und einer Schildkröte vor.
Nach dem Auftauchen erscheint die Inselwelt nicht weniger überwältigend: So aus der Welt gefallen leuchten die vier Wasserbungalows von Nuli Sapi mit ihrem Palmblätterdach und vor dem rot-weißen Abendlicht. Einsam in einer Mangrovenbucht gelegen und ohne jede andere touristische Infrastruktur steht das Hideaway auf der Urwald- und Palmeninsel. Die Wände sind so dünn und die glaslosen Fensteröffnungen mit geflochtenen Fensterläden so groß, dass die Natur hier hautnah spürbar bleibt. Nachts schaukelt der Wind die kleinen Stelzenhäuser, im Frühlicht pfeifen die Wasservögel. Und am Morgen wartet der sensationelle Ausblick von Bett und Veranda auf die umliegenden Eilande.
Kayleigh Colbran führt dieses Guesthouse auf Logeia Island, etwa eineinhalb Bootsstunden von der Provinzhauptstadt Alotau entfernt. Ein geeigneter Platz für Fluchten aus der modernen Welt. Das bestätigen auch Lonely-Planet-Autoren, die Nuli Sapi vor ein paar Jahren zu einer der zehn besten Ökounterkünfte weltweit gewählt haben. Klimaanlage und WLAN gibt es hier nicht, Solarstrom nur für zwei kleine Lampen pro Hütte. Dafür ein Netzwerk aus Menschen, die einladen, am Dorfleben teilzunehmen und zu erfahren, wie eine Kokosnuss geköpft und aus Sago-Palmen Stärke hergestellt wird.
„Vor Jahren bin ich bei einem großen Segeltörn mit dem Katamaran auf der Nachbarinsel Samarai gestrandet. Und bin geblieben“, berichtet Kayleigh, dessen Wurzeln in Neuseeland liegen. Handwerker aus dem Dorf erbauten die Gästehäuser im traditionellen Stil. Bauern beliefern sie mit Fisch und Gemüse. Und Peter, einer der Ältesten, erzählt abends Geschichten. Etwa vom Muschelgeld: Frauen sägen kleine Plättchen aus den Muscheln Kina und Toea und ziehen sie zu langen Ketten auf. Bis heute dienen diese als Zahlungsmittel bei besonderen Anlässen – als Brautpreis oder bei Beerdigungen. Nicht von ungefähr heißt auch die reale Währung des Landes Kina und Toea.
Kochen mit Schwefeldampf
Auf Fergusson Island tanzen Kinder für die anlandenden Gäste, stampfen zum Trommelrhythmus über den Sandboden, wie bereits ihre Urväter. Einige begleiten barfuß und in brütender Mittagshitze die Touren mit Schubert zu den Dei-Dei-Quellen. „Mein Vater ist ein großer Freund klassischer Musik“, erklärt Schubert seinen ungewöhnlichen Vornamen.
Die Quellen sind über 70 Grad heiß, ihre Schwefeldämpfe lassen die Luft kochen. Und das Wasser das Gemüse. In Taschen aus geflochtenen Palmwedeln hängen die Kinder eine Art Spargel, Spinat und Süßkartoffeln in die Quelle. Das Schwefelgebräu lässt sie wunderbar würzig werden. Neben tiefen blauen Löchern sprudeln kleine Geysire. Schubert versucht sich an einer Geisterbeschwörung. Konzentriert murmelt er ein paar Worte. Und siehe da, die Fontänen scheinen höher zu steigen.
Zwei Inlandsflüge braucht es an das andere Traumziel im Westen des Inselstaats: in die Provinz East New Britain im Bismarck-Archipel. Hier, nördlich der Salomonensee, spielen die Kräfte aus dem Erdinneren eine teilweise verheerende Rolle. Vor Sonnenaufgang ist Aufbruch zum Mount Kombiu, dem mit 688 Metern höchsten der sechs Vulkane rund um die deutsche Stadtgründung Rabaul. 40 Minuten soll der Aufstieg laut örtlichen Guides dauern. Doch für diese jungen Frauen ohne Uhr, die den steilen Hang locker hinaufspringen, ist Zeit kein Maßstab. In feucht-heißer Luft braucht der Normalwanderer doppelt so lang. Auf dem Gipfel öffnet sich eine irre Szenerie aus türkisem Pazifik, grauen Lavafeldern, roten Quellen und grün überwucherten Vulkankegeln. Und ganz nah der Übeltäter – Mount Tavurvur–, schwarz, nackt, roh. Warnend raucht es aus seinem Schlot. 1994 zerstörte er zusammen mit dem Mount Vulcan die Distriktshauptstadt Rabaul.
Deutsche Wortrelikte
Als deutsche Handelsniederlassung Simpsonhafen gegründet, wurde Rabaul 1910 zum Regierungssitz der Kolonie Deutsch-Neuguinea und entwickelte sich zu einer der größten Städte des Südpazifiks. Der nordöstliche Teil Neuguineas hieß damals Kaiser-Wilhelms-Land, zum Bismarck-Archipel zählten Neu-Pommern, Neu-Mecklenburg und Neu-Hannover. Aus dieser Ära hielt sich einiges in Spuren. Manche Kinder werden Ferdinand, Norbert und Albert gerufen, „raus“, „Tabak“ und „Ruksak“ sind gebräuchlich. Selbst die Kreol- oder Mischsprache „Unserdeutsch“ soll noch gesprochen werden, angeblich. Durch den Zweiten Weltkrieg wurde das Kapitel „Deutsche Südsee“ beendet, Rabaul durch Vulkanausbrüche 1937 zerstört und später wiederaufgebaut. Doch 1994 begruben sechs Meter dicke Lava- und Aschemassen Straßen und Häuser endgültig. Allein das Rabaul Hotel hat in der Geisterstadt überlebt.
Trommeln, Tänzer, Feuer
Wie die Einheimischen mit diesen Urgewalten umgehen, zeigt sich im nächtlichen Bergland: In einem Weiler haben die indigenen Baining riesige Holzhaufen aufgeschichtet und ein Feuer entzündet. Trommler und Sänger spielen im Feuerschein urtümliche Melodien. Da treten aus dem Dunkeln wilde Gestalten auf, die Masken mit einem riesigen Entenschnabel und übergroße Augen tragen, der Rücken ist bedeckt mit Palmblättern. Einzelne lösen sich aus der Menge, treten mit bloßen Füßen ins Feuer, dass die Glut stiebt wie ein Feuerwerk. Die Figuren tanzen sich in Rage, werden dabei selbst zu Geistern, immer näher am Feuer. Es sind Rituale, um die Kräfte der Natur zu beschwören.
Letzte Station Duke-of-York-Inseln, ebenfalls im Bismark-Archipel. Nicht so sehr die Kokosplantagen auf deutschen Grundmauern und der frühere Name Neu-Lauenburg faszinieren hier, sondern dieser gleißende Sandhügel mit ein paar Palmen in einer blauen Lagune vor Mioko Island: So unberührt wie neu entstanden. Eine Kinderhorde planscht auf der Miniaturhalbinsel und spielt im Sand. Auf dem Rundgang durchs Dorf mit Gästehaus, Kirche und Schule wollen sie mit und erklären, manches Pidgin-English hört man heraus: „skul“ für Schule, „haus beten“ für Kirche, doch was bedeutet „waswas“? Baden, scheint es. Ihre Mütter lachen, als sich die Besucher von weither in die Fluten stürzen, tauchen, springen und prusten wie die Kleinkinder. Befreiend, 18 Flugstunden entfernt.
IM OSTEN VON PAPUA-NEUGUINEA
Infos: www.papuanewguinea.travel
Aneise: z. B. in zwölf Stunden ab Frank-furt nach Singapur mit Singapore Air, www.singaporeair.com
In 15 Stunden von Wien über Zürich mit Swiss, www.swiss.com.
Von Singapur zum Jackson's Internatio- nal Airport in der Hauptstadt Port Mores- by in sechs Stunden. Papua-Neuguineas nationale Fluggesellschaft, Air Niugini, bedient die Strecke viermal pro Woche.
Weiterreise: Die Südspitze Neuguineas ist nur 60 Kilometer von der nördlichsten Spitze des australischen Kontinents entfernt. Der Flug von Port Moresby nach Cairns dauert knapp eineinhalb Stunden. Regelmäßig zwischen Papua-Neuguinea und Australien verkehren Air Niugini (nach Brisbane, Cairns und Sydney), Qantas/Qantas Link und Virgin Australia. Transport im Inland: Mit 562 Flughäfen und nur wenigen Straßen überwindet man größere Strecken meist mit dem Flugzeug. Viele Orte sind in einer
oder zwei Flugstunden erreichbar,
Visum: 60-Tage-Touristenvisum bei
Einreise am Jackson's Airport gratis.
Tauchen: Im sogenannten Korallendreieck zwischen Salomonen, Neuguinea, Borneo und Philippinen findet man Tauchspots von Weltrang und die weltweit größte Vielfalt tropischer
Fisch- und Korallenarten, etwa zweimal so viele wie im Roten Meer und etwa fünfmal so viele wie in der Karibik.
Unterkünfte/Ausflüge: Das Tawali-Tauchresort liegt auf einer Anhöhe im Urwald mit spektakulärer Sicht über das Hausriff und die Küsten der Milne Bay. Das Resort ist nur per Boot erreichbar, von Alotau aus in etwa eineinhalb Autostunden und 15 min im Motorboot. Mit der MV Spirit of Niugini verfügt das Re- sort über ein gut ausgerüstetes Boot mit Kabinen für mehrtägige Tauchsafaris. Tagestouren zu den Dei Dei Hot Springs auf Fergusson Island. Paradiesvogelbe- obachtungen. www.tawali.com
Das Insel-Hideaway Nuli Sapi wurde 2014 als erstes Tourismusunternehmen
Papua-Neuguineas von Lonely-Planet-Autoren unter die Top Ten der besten Öko-Unterkünfte weltweit gewählt. Es liegt eineinhalb Bootsstunden von Alotau entfernt. Wasserbungalows mit Balkon und Panoramablick auf die Inselwelt, Vollverpflegung. Tipp: Manta-Tagestour mit Grillbuffet auf einer unbewohnten Insel. www.facebook.com/nulisapi
Das Kokopo Beach Bungalow Resort ist das beste Hotel in East New Britain. Bun- galows, Outdoor-Restaurant, Bar und Treetop-Terrasse direkt am schwarzen Vulkanstrand der Blanche Bay. Das Hotel hat ausgebildete Tourguides u. a. für die Besteigung des Mount Kombiu, die Duke-of-York-Islands- und Rabaul-Tagestour oder den Baining-Fire-Dance-Abend. Inklusive Frühstück und Flughafentransfer, www.kbb.com.pg
Zum Zwischenstopp: Empfehlenswerte Hotels mit internationalem Standard in Port Moresby: das Grand Papua (www.grandpapuahotel.com.pg) und das Airways Hotel (www.airways.com.pg)
Anbieter: Trans Niugini Tours verbindet exquisite Lodges in vielen Regionen mit Privatjets und betreibt die MV Sepik Spi- rit, ein Luxusschiff mit neun Kabinen, das in der East-Sepik-Provinz die Flüsse Karawari, Krosomeri und Sepik befährt. Jetboot-Ausflüge, www.pngtours.com
Rundreisen: Ikarus Tours, www.ikarus.com
Individualreisen: Karawane-Reisen , www.karawane.de
„National Geographic“-Fotografin Ulla Lohmann bietet Papua-Expeditionen, www.ullalohmann.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2018)