Eine Rauchwand am Gaza-Wall

Symbolbild.
Symbolbild. (c) REUTERS (MOHAMMED SALEM)
  • Drucken

An der Grenze des Gazastreifens kam es erneut zu Protesten. Israelische Aktivisten rufen zur Befehlsverweigerung auf. Israel fürchtet dagegen, von Attentätern infiltriert zu werden.

Jerusalem. Brennende Autoreifen und Steinschleudern auf der einen Seite, Tränengas und Scharfschützen auf der anderen. Der ungleiche Kampf von palästinensischen Demonstranten und israelischen Sicherheitskräften im Grenzgebiet zum Gazastreifen ging am Freitag in die zweite Runde. Sieben Tote und 1070 Verletzte meldete das palästinensische Gesundheitsamt.

Die Zahl der Demonstranten blieb mit rund 20.000 hinter den Erwartungen zurück. Viele Menschen suchten in den Rauchwolken der brennenden Reifen Schutz vor den Gewehrkugeln des Gegners. Die gut doppelt so großen Kundgebungen eine Woche zuvor hatten 22 Menschenleben gefordert. Auf israelischer Seite stellten Feuerwehrleute riesige Ventilatoren gegen den Qualm auf. Menschenrechtsaktivisten appellierten an die Scharfschützen, den Befehl zu verweigern.

Der auf sechs Wochen angelegte Protest, mit dem die Menschen im Gazastreifen auf ihre Not aufmerksam machen wollen, war von der radikal-islamischen Führung der Hamas als friedliche Aktion geplant. Dass es dennoch zahlreiche Tote und mehrere hundert Verletzte gab, liegt an der Hamas, die ihre Landsleute nicht daran hindert, dem Grenzzaun zu nahezukommen, und an der Gnadenlosigkeit, mit der die israelischen Scharfschützen jeden Palästinenser aufhalten, der sich zu dicht an die Grenzanlagen heranwagt.

„Entschuldigung, aber ich werde nicht schießen“, so heißt es auf Plakaten und Zeitungsinseraten der israelischen Nichtregierungsorganisation Betselem, die an die Soldaten appelliert, den „unrechtmäßigen Befehl“ zu verweigern, „mit scharfer Munition auf unbewaffnete Demonstranten zu schießen“. Die Hauptverantwortung für die fatale Bilanz liege „beim Regierungschef, dem Verteidigungsminister und dem Generalstabschef“, erklärten die Menschenrechtsaktivisten und riefen Politiker und Armeeführung auf, „zur Vernunft zu kommen“.

Davon will Verteidigungsminister Avigdor Lieberman nichts wissen. Ungeachtet der Kritik hält Israel am Einsatz von Scharfschützen, unterstützt von mit Tränengas bestückten Drohnen, Wasserwerfern und Gummigeschossen, fest. Palästinenser im südlichen Gazastreifen berichteten über Zettel mit Warnungen auf Arabisch. „Wer sich dem Zaun nähert, riskiert erschossen zu werden“, bekräftigte Lieberman.

Israels Sorge ist, dass Menschenmengen die Anlagen einreißen könnten und dass unter dem Deckmantel des zivilen Protests Terroristen nach Israel kommen könnten, um in einem der anliegenden Kibutzim (Landwirtschaftskooperativen) Anschläge zu verüben oder Israelis in den Gazastreifen zu verschleppen. In den vergangenen Wochen meldete der Sicherheitsapparat vier Grenzübertretungen. In drei Fällen konnten die zum Teil mit Messern und Handgranaten bewaffneten Palästinenser verhaftet werden. Der vierten Gruppe gelang die Flucht zurück in den Gazastreifen.

„Israels vorsätzliches Töten unbewaffneter palästinensischer Demonstranten in Gaza darf nicht ungeprüft oder unbestraft bleiben“, forderte die Fatah-Funktionärin Hannan Aschrawi. Auch die deutsche Regierung forderte von Israel Klärungsbedarf angesichts der hohen Opferzahl. Eine unabhängige Untersuchungskommission, wie sie UN-Generalsekretär António Guterres verlangt, lehnt Israel ab. „Die UNO täte besser daran, den Tod einer halben Million Menschen in Syrien zu untersuchen“, kommentierte Lieberman. Allerdings will die Armee eine „interne Untersuchung“ vornehmen.

Der „Große Marsch der Rückkehr“ soll an das Schicksal der vor 70 Jahren aus Israel Vertriebenen erinnern, die das Recht auf Rückkehr fordern. Die Protestaktionen in fünf Zeltstädten sollen bis zum 15. Mai andauern, Israels Staatsgründung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2018)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.