Sechs Todesfälle nach Bakterien in steirischem Käse

(c) APA (Georg Hochmuth)
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Listerien-Bakterien in oststeirischem Käse kosten sechs Menschenleben. Erst Monate später werden 50 Tonnen Käse zurückgerufen. Dem Betrieb drohen zivilrechtliche Klagen und strafrechtliche Konsequenzen.

1. Was ist passiert?

„Wir rufen aus Gründen des vorsorglichen Verbraucherschutzes mit sofortiger Wirkung folgende Artikel in Österreich zurück“, heißt es in einer mit 23.1. datierten Aussendung des oststeirischen Käseproduzenten Prolactal. Aufgelistet sind in weiterer Folge sechs Quargel- und zwei Fastenkäsesorten. In den Sauermilchkäseprodukten seien in einzelnen Proben Listerien nachgewiesen worden, wird begründet. Umgehend wurde in weiterer Folge die Produktion gestoppt; die Käsesorten wurden aus den Supermarktregalen genommen. Allein in Österreich waren es 50Tonnen Käse. Zu spät: In Österreich waren bereits zwölf Menschen an dem im Käse gefundenen Bakterientypus erkrankt; vier davon starben. Zwei weitere Todesfälle gab es in Deutschland. Alle sechs Fälle hatten sich bereits in der zweiten Jahreshälfte 2009 ereignet.

2. Warum hat man so spät reagiert?

Die Prolactal-Geschäftsführung zeigt sich von den Todesfällen „erschüttert“. Man habe davon aber bisher nichts gewusst, heißt es gestern, Dienstag. Auf die Käsespur kamen die Behörden über die Einkaufszettel der Erkrankten. Erst im Jänner kann man den oststeirischen Käse als „Täter“ ausmachen. „Ohne zu wissen, wovor, hätten wir früher nicht warnen können“, verteidigt das Gesundheitsministerium das Verhalten.

3. Was sind und woher kommen Listerien?

Listerien sind Bakterien, die fast überall leben (im Boden, im Abwasser) und neben dem Menschen auch viele Wild- und Haustiere befallen. Bei Letzteren zeigten sie sich zunächst, sie verursachten auf Bauernhöfen Fehlgeburten und Gehirnerkrankungen der Nutztiere. Dass sie auch Menschen befallen, bemerkte man 1927 an einem Fall, 1981 kam es in Kanada zur ersten dokumentierten Epidemie mit 41Betroffenen und 17Toten. Listerien sind besonders trickreiche Bakterien, die sich von Abwehrzellen des Bluts transportieren lassen und auf diesem Weg auch in besonders geschützte Körperbereiche wie das Gehirn und zu Föten kommen. In den Körper gelangen sie mit Nahrungsmitteln, ungewaschenem Obst, rohem Fleisch, nicht pasteurisierter Milch (auch im Speiseeis).

4. Wer muss sich fürchten?

Viele Menschen werden von Listerien befallen, die meisten bemerken es nicht einmal. Und wenn doch, ist es mit Erbrechen, Übelkeit und Durchfall getan, nach zwölf Stunden treten die Symptome auf. Aber manche Menschen müssen – Tage bis Wochen später – die Bakterien fürchten, die „Yopis“: „young, old, pregnant, immunocompromised“. Das sind einerseits alle die, deren Immunsystem ohnehin geschwächt ist, auf der anderen Seite die Schwangeren: Die Bakterien dringen auch durch die Plazenta und können zu Fehlgeburten bzw. Babys mit Hirnhautentzündungen führen (die Mütter bemerken von der Infektion oft nichts).

5. Was kann man tun?

Wenn Listerien einmal im Körper sind, ist eine Abwehr schwierig. Denn dorthin, wo die Listerien dringen können, können viele Antibiotika nicht folgen, sie sind zu groß. Man setzt ?-Lactam-Antibiotika wie Ampicillin in hohen Dosen ein, oft helfen auch sie nicht, die Sterblichkeit unter Yopis kann 70Prozent betragen. In Österreich sterben pro Jahr etwa fünf bis zehn Menschen daran. Deshalb liegt alles an der Prophylaxe: Kälte wie die im Kühlschrank halten Listerien aus, aber Hitze – durch Kochen, Braten, Pasteurisieren – ist für sie tödlich. Lebensmittelkontrolle hilft nur bedingt: Der Nachweis braucht Zeit, die Lebensmittel sind dann oft schon verzehrt. Freunde der Rohmilch und ihrer Produkte müssen wissen, dass sie ein Risiko eingehen.

6. Welche möglichen gerichtlichen Folgen nach den Todesfällen gibt es?

Die steirische Landwirtschaftskammer wehrt sich massiv gegen die „irreführende Kennzeichnung der Käseprodukte“. Dass die beanstandeten Sauermilchkäse als „Hartberger Bauernquargel“ angeboten werden, sei „ein Skandal, weil kein einziger Tropfen steirische Milch drinnen ist“, schimpft Landwirtschaftskammerpräsident Gerhard Wlodkowski. Die Bezeichnung ist laut Kammer aber legal, solange mehr als 50Prozent der Wertschöpfung in Österreich entstehen. Für das Unternehmen könnte es aber dennoch ein gerichtliches Nachspiel haben. Zivilrechtlich seien massive Schadenersatzansprüche der Angehörigen der Opfer möglich, glaubt der Wiener Anwalt Nikolaus Rast. Strafrechtlich könnten – wenn Verunreinigungen nicht erkannt oder strengere Kontrollen verabsäumt wurden – den Produktionsverantwortlichen Klagen wegen fahrlässiger Tötung drohen. Stimmen der APA vorliegende Informationen, dass man bereits länger von Grenzwertüberschreitungen gewusst, aber nichts dagegen unternommen habe, wäre es nicht mehr fahrlässig, sondern wissentlich. Rast: „Wenn ich weiß, dass es unter Umständen zum Tod führen kann, wäre das fast ein Vorsatz.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2010)

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