Mein Montag

Eine lange Nacht und eine kurze Nacht sind das Gleiche

Da vorne ist die Festungsbahn! Oder da hinten?
Da vorne ist die Festungsbahn! Oder da hinten?Erich Kocina
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Vermutlich ist Ihnen das schon einmal aufgefallen: Statt „da vorn“ kann man auch „da hinten“ sagen.

Der ausgestreckte Arm ist das Erkennungszeichen des menschlichen Wegweisers. Wie eine Kompassnadel zeigt er dann in die Richtung, wo etwas ist. Aber dann wird es kompliziert. Denn ist das, was irgendwo ein paar Hundert Meter entfernt ist, „da vorn“ oder „da hinten“? Vermutlich geht beides: die Variante, dass etwas aus unserer Sicht vorn ist, oder die, dass es aus Sicht einer Straße oder eines Ganges eben hinten sein muss. Den gleichen Effekt kennen wir, wenn jemand mit müden Augen in die Arbeit kommt. Dann hatte die Person entweder eine lange Nacht oder auch eine kurze Nacht. Die Botschaft dahinter ist aber dieselbe: Man hatte zu wenig Schlaf.

Zuletzt tauchten im Internet auch „Memes“ auf, die sich des Wortes „umfahren“ annehmen. Dass das Wort im Deutschen nämlich sowohl bedeuten kann, einem Hindernis auszuweichen, als auch, über ein Hindernis drüberzufahren. Unangenehme Sache, das. Aber wenn wir schon dabei sind, lernen wir doch gleich etwas daraus. Dass es sich hier nämlich um ein Januswort handelt. Sie wissen schon, Janus, der römische Gott des Anfangs und des Endes, der gern als Doppelgesicht dargestellt wird. Ein Januswort ist also ein Wort mit mindestens zwei Bedeutungen, wobei die eine Bedeutung das Gegenteil der anderen ist. Sind Sie noch da? Also, gemeint ist, dass etwa anhalten sowohl bedeuten kann, dass etwas andauert, aber auch, dass etwas zum Stillstand gebracht wird. Dass transparent sowohl durchsichtig als auch unsichtbar meinen kann. Und dass verabschieden dafür stehen kann, etwas zu beschließen (ein Gesetz, zum Beispiel), aber auch dafür, etwas zu verwerfen (einen Gedanken, zum Beispiel). Ganz schön viel theoretischer Stoff für so eine Kolumne, oder? Ich weiß, aber Sie müssen verstehen, ich hatte gestern eine lange Nacht. Also eine kurze. Egal, Sie wissen schon.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2018)

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