Leitartikel

Raúl Castro, der kubanische Tyrannosaurus Rex

Raúl Castro.
Raúl Castro.(c) REUTERS (POOL New)
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Der Bruder der Revolutionsikone hat die Ära Castro über die Zeit gerettet. Er bleibt die graue Eminenz. Sein Nachfolger muss die Übergangsphase managen.

Für den kosmetischen Wandel auf Kuba, den er im Sinn hat, wollte der Jüngere der Castro-Brüder nichts dem Zufall überlassen. Ist der moralische und ökonomische Status quo der Karibikinsel auch so morsch wie viele der Häuserruinen in der Altstadt Havannas und ihre Gesellschaft ausgehöhlt, so sollte der Stabwechsel an der Staatsspitze doch ein Hauch von Revolutionsfolklore umwehen – der ideologische Kitt, der das Regime seit bald 60 Jahren zusammenhält.

Just für den Jahrestag der Schweinebuchtaktion, des anno 1961 von der CIA gelenkten und von Präsident John F. Kennedy abgesegneten Putschversuchs gegen die Kommunisten im Hinterhof der USA, legte Raúl Castro die symbolische Machtübergabe an den handverlesenen Nachfolger fest: an den Vizepräsidenten Miguel Díaz-Canel. Sie markiert einen Generationswechsel von einem 86-jährigen Fossil der Revolution zu einem demnächst 58-jährigen Technokraten, dem womöglich bloß die Rolle eines Übergangsmanagers zukommt. Díaz-Canel ist der letzte der jüngeren Garde, der das Köpferollen in der Castro-Diktatur überlebt hat.

An der Rochade ist mehrerlei bemerkenswert. Zuallererst die trotzige Beharrungskraft eines oft totgesagten Regimes, das den Kollaps der Schutzmacht Sowjetunion und die Wende der Satellitenstaaten in Ost- und Mitteleuropa, die Einstellung der „Bruderhilfe“ aus Venezuela, die Öffnung gegenüber dem Erzfeind USA und schließlich den Tod der charismatischen Galionsfigur Fidel Castro dank brutaler Repression überstanden hat. Es ist so etwas wie ein kommunistisches Minimirakel, wofür die Kubaner jedoch einen hohen Preis gezahlt haben: Sie leben in einer Art Revolutionsmuseum, in dem sich seit den 1960ern im Grunde nichts geändert hat – mit den immer gleichen Parolen à la „Socialismo o muerte“ und den US-Straßenkreuzern aus den Fifties.

Beinahe 60 Jahre haben die Castros auf Kuba de facto das alleinige Sagen gehabt. Während Fidel dahinsiechte, manövrierte Raúl das lecke Inselschiff in den letzten zwölf Jahren durch die Klippen der Mangelwirtschaft und der politischen Stürme. Nun gibt er einen Teil der Macht aus freien Stücken ab – und sein Nachfolger als Staatschef trägt nicht den Nachnamen Castro. Raúl-Sohn Alejandro gilt zwar als enger Berater, für eine Erbfolge war er indes nicht ausersehen.

Dies zeugt – bei positiver Auslegung – von einer gewissen Pseudodemokratie innerhalb der kommunistischen Staatspartei, die freilich jede oppositionelle Regung im Keim erstickt. Zugleich demonstriert es die Stärke des Staats im Staat: die Allmacht des Militärs, das sich im Lauf der jahrzehntelangen Ära des Verteidigungsministers Raúl Castro die Kontrolle über alle Schlüsselbereiche der Wirtschaft gesichert hat – insbesondere im Tourismus, dem großen Devisenbringer und der einzigen Wachstumsbranche Kubas. Als Partei- und Militärchef wird Raúl Castro vorerst weiterhin die graue Eminenz bleiben, der starke Mann und pragmatische Gralshüter des Regimes, der den Kurs bestimmt und damit auch das Ausmaß der Liberalisierung, die sich bisher auf kleine Reformen und Freiheiten wie den Internetzugang beschränkt.

Raúl Castro postuliert das chinesische Modell: wirtschaftliche Öffnung bei striktem Kadersozialismus. Mit dem Unterschied, dass nur eine Minderheit der Kubaner von der neuen ökonomischen Freiheit profitiert: jene Privilegierten, die durch Verwandte im US-Exil oder durch ihren Zugang zur Tourismusindustrie über Dollars verfügen. Der Rest, desillusioniert und mit der Organisation des Alltags beschäftigt, schlägt sich mehr oder weniger mittellos durchs Leben. Dies hat eine krasse Zweiklassengesellschaft herausgebildet, in der sich Akademiker als Taxifahrer, Touristenguides oder Zuhälter verdingen, in der sich Glücksritter und Goldsucher auf irgendeine Art prostituieren. Es ist die zynische Endphase eines tropischen Sozialismus, in dem Palmen die Misere beschönigen. Irgendwann wird er krachend einstürzen. Längst hat der Kommunismus kubanischer Prägung seine Bankrotterklärung abgegeben, und er versucht, wie ein Dinosaurier sich über die Zeit zu retten. So gesehen ist Raúl Castro der Letzte seiner Art, ein Tyrannosaurus Rex.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2018)

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