Ein selektives Geschichtsverständnis

Regierungschaos gab es keines. Eine Abrüstung der Worte ist angebracht.

Von Ex-Finanzminister Rudolf Edlinger ist man ja markige Sprüche gewohnt. Mit seiner Aussage vom „Regierungschaos unter Schwarz-Blau bis 2006“ hat er sich diesmal aber selbst überdribbelt. Und auch die weiteren Aussagen Edlingers zeugen von einem selektiven Geschichtsverständnis, dass von weiten Teilen in der SPÖ sorgsam gepflegt und von Funktionärsgeneration zu Funktionärsgeneration weitergegeben wird.

Diese Form der sozialdemokratischen Geschichtsauslegung orientiert sich an einem einfachen Schema: Die Roten sind immer Opfer, die Schwarzen im Zweifel – solange sie nicht mit der SPÖ in einer Regierung sind – die bösen Buben. Selbstkritik, das Streben nach historischer Objektivität oder wenigstens eine halbwegs ausgewogene Argumentation wäre aber angebracht, um der geschichtlichen Wahrheit möglichst nahe zu kommen.

Wenn es um staatspolitisch und ethisch hohe Ansprüche geht, dann hätte die SPÖ etwa längst öffentlich die Frage diskutieren müssen, ob die Benennung eines Teiles der Wiener Ringstraße in „Dr.-Karl-Renner-Ring“ überhaupt noch politisch korrekt ist. Karl Renner bemühte sich nach Ende des Ersten Weltkriegs intensiv um den Anschluss an Deutschland, bezeichnete Österreich 1932 als „verkrüppeltes Zwergwirtschaftsgebiet ohne Überlebenschance“ und stimmte 1938 bei der Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland mit „Ja“. In einer verkürzten historischen Sichtweise würde ihn das für jede Straßenbenennung in Österreich und für jede Ehrennennung in der SPÖ disqualifizieren.

Lieb gewordene Mythen

Beispiele wie diese gibt es zuhauf, sie als Kampfargumente in den politischen Diskurs einzuführen bringt aber weder die historische Wahrheit ans Licht noch verbessert sie die politische Kultur Österreichs.

Es wäre also jetzt ernsthaft an der Zeit für Edlinger und Co, sich von lieb gewordenen Mythen der SPÖ-Geschichtsschreibung endgültig zu verabschieden, anstatt je nach Bedarf und Anlass reflexartig den Ständestaat als immer gültigen Beweis einer bösen ÖVP in die Diskursarena zu schleudern. Der nahende 100. Geburtstag Bruno Kreiskys scheint für nicht wenige im Umfeld der SPÖ Anlass zu sein, alte Feindbilder mit neuen Leben zu füllen und wieder mal die beliebte Dollfuß-Keule zu schwingen. Die SPÖ verhindert und erschwert mit dem Sticheln die historische Aufarbeitung dieser für alle Österreicher so schweren Epoche. Die Sozialdemokratie ignoriert dabei nicht nur den gemeinsamen Gräberbesuch von Gorbach und Pittermann als versöhnende Geste, sondern schmälert auch die Rolle von vielen ÖVP-Persönlichkeiten, wie etwa Leopold Figl, der wegen seiner politischen Gesinnung in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen inhaftiert war.

Die ÖVP hat im Unterschied zur SPÖ auch organisatorisch einen Schlussstrich unter die tragischen Ereignisse der Ersten Republik gezogen und sich 1945 bewusst neu gegründet.

Bei aller berechtigten Kritik am Ständestaat und den Verwerfungen des Bürgerkrieges sollten aber auch Sozialdemokraten eines nicht vergessen: Dollfuß hat sich mit ganzer Kraft gegen das gestemmt, was die Sozialdemokraten damals wollten: eine großdeutsche Lösung und einen Anschluss an Hitler-Deutschland. Das hat er auch mit seinem Leben bezahlt.

Das gegenseitige Aufrechnen von Verdiensten und Fehlern der großen politischen Blöcke bringt Österreich im Jahre 2010 nicht weiter. Im Zentrum einer politischen Versöhnung sollte immer eine Abrüstung der Worte stehen. Daher wäre neben der Aufgabe alter und historisch verbrauchter Feindbilder auch bei der Bewertung der jüngeren Zeitgeschichte etwas mehr Fingerspitzengefühl angebracht. Von einer Quasi-„Volksherrschaft“ zu fabulieren ist nicht nur tatsachenresistent und geschmacklos. Es kann nur als bewusstes Schüren parteipolitischer Ressentiments und als ein Denken in politischen Blöcken klassifiziert werden. Das erscheint mir demokratiepolitisch wenig zielführend.

Nur weil Edlinger die Sanktionen gegen Österreich gutheißt und „dabei war“, heißt das noch lange nicht, dass er die einzig gültige Geschichtsauslegung darüber gepachtet hat. Laut internationalen Länderrankings hat die sogenannte „Wenderegierung“ Österreich moderner und international wettbewerbsfähiger gemacht. Privatisierungen, eine mutige Pensionsreform und große Reformschritte auf verschiedensten Ebenen haben Österreich strukturell so modernisiert, dass wir im Unterschied zu vielen sozialistisch regierten Ländern auch die gegenwärtige Wirtschaftskrise relativ gut meistern können.

Rituelle Feindbildabrufung

Das mag zwar durch den subjektiven Blick der SPÖ-Parteibrille anders aussehen, lässt sich anhand objektiver Benchmarks aber nicht so einfach mittels ritueller Feindbildabrufung wegdiskutieren. Und noch eine Kurzbemerkung zum Thema Aufarbeitung der Geschichte: In dem von Edlinger angesprochenen „Regierungschaos unter Schwarz-Blau“ wurden nicht nur mehr als 650 Millionen Euro von Versöhnungsfonds, Entschädigungsfonds und Nationalfonds an Entschädigungszahlungen für NS-Opfer ausbezahlt, sondern auch mehr als 8.500 Kunstgegenstände an ihre früheren Besitzer bzw. deren Erben restituiert...

Eine Abrüstung der Worte steht allen gut an. „Regierungschaos“ als Bezeichnung für eine demokratisch legitimierte Regierung der jüngsten Geschichte ist eher die Diktion des Republikanischen Schutzbundes als einer staatstragenden Partei, der sozialer Friede und Partnerschaft wichtige Werte sind.

Dr. Dietmar Halper (geboren am 30. Jänner 1969 in Oberwart) ist Jurist und Direktor der Politischen Akademie der ÖVP.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2010)

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