Der türkische Präsident hat vorgezogene Neuwahlen angekündigt. Und wieder spielt ihm ein Mann mit, der schon bisher für die Ent-Demokratisierung der Türkei mitverantwortlich war. Dabei kommt er gar nicht aus Erdoğans Partei.
Devlet Bahçeli ist ein biegsamer Politiker, das hat er schon mehrfach bewiesen. Eigentlich Chef der stramm nationalistischen, rechtsextremen MHP in der Türkei, könnte er heute auch als hochrangiger Vertreter der Regierungspartei AKP durchgehen, so spotten zumindest seine Kritiker. Schon mehrmals griff Bahçeli der AKP unter die Arme, so unterstützte er Recep Tayyip Erdoğans Pläne, die Türkei in eine Präsidialrepublik umzuformen – nur mit seiner Hilfe konnte das Referendum zur Verfassungsänderung stattfinden. Und er weigerte sich wohlkalkuliert nach den Wahlen 2015, der AKP als Koalitionspartner zur Verfügung zu stehen. Dabei galt die MHP als einzig logischer Juniorpartner, aber die Regierungspartei wünschte Neuwahlen, und Bahçeli kam diesem Wunsch schnell nach (damals verlor die AKP viele Stimmen an die prokurdische Partei HDP und versuchte diesen Schwund durch Neuwahlen wettzumachen, was ihr teilweise auch gelang).
Nun wieder Bahçeli. Überraschend bekundete er am Dienstag, dass in der Türkei vorgezogene Neuwahlen stattfinden sollten, und zwar am 26. August, jenem Tag, an dem der spätere Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk 1922 die entscheidende Offensive gegen die Griechen während des türkischen Befreiungskrieges startete. Und schon am Mittwoch, nach einem Gespräch mit Präsident Erdoğan, nahm die Neuwahl-Idee konkrete Formen an. Erdoğan kündigte den Urnengang für den 24. Juni an, mehr als ein Jahr vor dem ursprünglich geplanten Termin. Nur die Wahlbehörde muss das Datum noch festlegen, aber das scheint lediglich Formsache zu sein.
Das sinkende MHP-Schiff
Allein ist Bahçeli ganz sicher nicht auf diese Idee gekommen, vielmehr sollen die Neuwahlen die Machtbasis der AKP festigen: Warum bis Ende nächsten Jahres warten, um die Republik nach Erdoğans Façon umzugestalten? Der Präsident hofft auf positive Umfragewerte nach den jüngsten Militäroffensiven in Syrien. Darüber hinaus will er sich, wie so oft in den vergangenen Jahren, als Garant für Stabilität inszenieren – in der Türkei und im krisengeschüttelten Nahen Osten. Aber: Trotz aller Wahlerfolge braucht die AKP einen Partner. Alleine hat sie das Referendum nicht durchgebracht, und alleine wird ihnen wohl kaum die Umstrukturierung des Landes gelingen, zumindest nicht ohne Gewalt.
Bahçeli ist Erdoğans willfähriger Königsmacher. Seit Jahren schon rätselt die türkische Politik darüber, warum sich der Nationalist dem Präsidenten derart anbiedert. Er hoffe auf einen guten Posten in der Präsidialrepublik sagen die einen; er wird das sinkende MHP-Schiff ohnehin rechtzeitig verlassen, sagen die anderen. Er selbst sagt nur, dass die Zukunft der Türkei allein in den Händen der AKP liege. Selbst darüber, dass die Regierungspartei die Partei der extremen Nationalisten auf lange Sicht verschlucken will, wird offen geredet. AKP-Politiker fielen in jüngster Zeit damit auf, dass sie in der Öffentlichkeit den rechtsextremen Wolfsgruß zeigten, und MHP-Politiker den religiösen Gruß der Muslimbrüder. So etwas gab es noch nie. Eine Fusion der AKP mit der MHP würde eine neue konservative, extrem nationalistische Superpartei zutage bringen.
Ganz so einfach ist dieses Vorhaben jedoch nicht. Teile der MHP, die zwar rechtsextrem ist, aber traditionell auch säkular, sind schwer enttäuscht von Bahçeli. So ist die Nationalistin Meral Akşener aus der MHP ausgetreten und hat mit IYI eine neue Partei gegründet. IYI dürfte mit ein Grund sein, warum Bahçeli den Neuwahlen zugestimmt hat: Er will seine Widersacherin schwächen. Akşener kann zwar beachtliche Umfragewerte für ihre neue Partei aufweisen, aber IYI ist noch zu jung, um eine großflächige Wahl erfolgreich schlagen zu können. Die Neuwahl-Ankündigung kommt für Akşener zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt.
Schwache Opposition
Und auch die linke, prokurdische Oppositionspartei HDP ist extrem geschwächt, zumal Ankara gegen die Doppelspitze und einen Großteil der Abgeordneten prozessiert. Bleibt also nur mehr die sozialdemokratische CHP übrig, die zweitstärkste Partei im Land, die aber von dieser Position aus bisher kaum etwas gegen die AKP bewirkt hat.
Erdoğan hat schon oft gezeigt, dass er seine Ideen durchsetzt, koste es, was es wolle. Die Türkei wird immer mehr zu einem autokratischen Staat, das kann die europäische Öffentlichkeit schon seit Jahren hautnah miterleben. Viel zu oft wird aber übersehen, welche tragende Rolle den Rechtsextremen zukommt. Die Ent-Demokratisierung der Türkei ist auch ihnen zuzuschreiben.