"Fürchte dich vor Gott", schreit ein Komplize des hauptangeklagten Afghanen, der die Verantwortung für den Tod von 71 Flüchtlingen in einem Kühllaster von sich weist.
Im Prozess um das A4-Flüchtlingsdrama am Gericht in Kecskemet in Ungarn ist am Freitag die Einvernahme des Hauptbeschuldigten fortgesetzt worden. Nachdem der Afghane am Donnerstag über die Hierarchie der Bande berichtete, wies er weiterhin den Vorwurf zurück, der Oberboss gewesen zu sein. Nach gegenseitigen Schuldzuweisungen lieferten sich die Angeklagten ein Schreiduell im Gerichtssaal.
Vor der Aussage des Afghanen kam nämlich jener Autohändler, der den Todes-Lkw an die Bande verkauft hatte, als Zeuge zu Wort. Er berichtete, dass der Hauptbeschuldigte, sein Vize und ein Komplize als Vermittler - ein bulgarisch-libanesischer Staatsbürger - beim Kauf dabei waren. Der Autohändler erzählte, dass dieser Vermittler berichtete, dass sich der 31-jährige Bandenboss sehr für den Lkw interessiert habe, so etwas habe er immer gesucht, sagte er laut dem Zeugen.
Der Autoverkäufer erklärte den Männern, wie die Kühlung ein- und ausgeschaltet wird. Er sagte ihnen auch, wie die Schließvorrichtung bei dem Kühl-Lkw funktioniert. Als er ihnen das Schwerfahrzeug verkauft hatte, hat es keine zusätzliche Versperrung gegeben, sagte er dem Gericht in Kecskemet. Der Händler sagte auch, dass es nicht möglich gewesen wäre, die Tür vom Inneren des Laderaums zu öffnen. Und der Lkw wäre in einem guten Zustand gewesen. Die Bande soll nämlich die Tür zusätzlich mit einem Draht gesichert haben, weshalb die Flüchtlinge qualvoll erstickten.
"Wie lang wollt ihr noch lügen?"
Dem Aussagen des Autohändlers widersprach der Erstangeklagte, er habe sich nach der Luftzufuhr erkundigt, aber der bulgarisch-libanesische Komplize hätte ihn beruhigt, dass genügend Luft über die Kühlanlage in den Frachtraum strömen würde. Der Afghane beschwerte sich lautstark, dass ihm der Komplize und sein Vize nun alles in die Schuhe schieben wollen. "Wie lange wollt ihr noch lügen?", brüllte er. Er hätte doch nur gezahlt, der Komplize das Auto aber beschafft. "Fürchte dich vor Gott", schrie der Komplize, weshalb Richter Janos Jadi zur Ordnung rief. Die Verhandlung wird am Freitag nach einer Mittagspause fortgesetzt.
Am Donnerstag hatte der Hauptangeklagte den Tod der 71 Migranten bedauert. Es sei "als hätte ich die eigene Familie verloren", sagte der Afghane. Der Mann gilt laut Anklage als Boss der Schlepperbande. In Ungarn ist "alles über mich gelaufen", sagte der 31-Jährige, insgesamt sei er aber nicht der Chef.
Afghane beschuldigt zwei Flüchtige als Drahtzieher
Als Drahtzieher der internationalen Organisation bezeichnete der Mann den flüchtigen zwölften Angeklagten, Amin, sowie einen Mann namens Kairo. "Ein Dummer kann nicht schleppen, das können nur kluge Menschen. Die Schlepperei ist ein Schachspiel, doch nicht die Spieler sitzen hier."
Er selbst sei lediglich Mittelpunkt der Organisation in Ungarn gewesen, sagte der 31-Jährige. Der bulgarisch-libanesische Fünftangeklagte habe zwar alles an sich reißen wollen, Amin und Kairo hätten den Kontakt jedoch nicht nötig gehabt, "denn ich war der Kontakt".
In dem Prozess sind insgesamt 14 Personen - elf Bulgaren, zwei Afghanen sowie ein bulgarisch-libanesischer Staatsbürger - angeklagt. Sie sollen Schuld am Erstickungstod der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, dem Iran und dem Irak sein. Unter den 71 Todesopfern waren vier Kinder. Drei der 14 Angeklagten sind noch auf der Flucht. Seit Juni 2017 wird in Kecskemet verhandelt.
(APA)