Wo sind all die Ärzte hin?

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Der Nächste, bitte. 1200 Jungärzte schließen jedes Jahr ihr Studium ab. Nur 900 von ihnen finden einen Turnusplatz, nur 750 werden danach ärztlich tätig. Der Rest versickert. Wo, weiß man nicht.

Österreich, das Land der Widersprüche. Auf der einen Seite: Ärztemangel, Überlastung und Pensionswelle bei niedergelassenen und angestellten Medizinern. Auf der anderen Seite: genügend Jungmediziner, die schnell weitermachen wollen.

Aber nicht können. Schon gar nicht nahtlos. Bis zu eineinhalb Jahre müssen sie auf einen Turnusplatz in Oberösterreich warten, bis zu einem Jahr in Wien und Tirol. In fast allen Bundesländern (mit Ausnahme der Steiermark) werden die Wartelisten mit jedem Jahr länger. Die Folge: Von den durchschnittlich 1200 Medizinabsolventen jährlich kommt ein Viertel nie in der nächsten Stufe an. Es verschwindet einfach.

Wohin es verschwindet, weiß niemand so genau. Zahlen gibt es keine. Die Deutschen, die ohnehin nur zum Studieren nach Österreich kamen, machen bloß einen kleinen Teil aus, versichert Karlheinz Kornhäusl, bei der Ärztekammer (ÖÄK) Obmann der Bundessektion Turnusärzte.

Déjà-vu

Das erinnert an die Ärzteschwemme der 1980er-Jahre, mit einem Unterschied. Damals übertauchten die Jungärzte die Wartezeit mit Taxifahren. Heute gehen sie ins Ausland. Oder in die Forschung. Oder in die Pharmaindustrie. Wie gesagt: So genau weiß es niemand.

Schade um die 500.000 Euro, die ein Studienplatz in der Humanmedizin (der teuersten universitären Ausbildung in Österreich) kostet. Schade um die 13 Semester, die ein Medizinstudium im Schnitt dauert. Doch warum stocken nicht die Spitäler ihre Turnusplätze auf? Kornhäusl weiß die Antwort: Sie haben in den vergangenen Jahren heftig rationalisiert. „Mitverantwortliche“ Tätigkeiten (subkutane Injektionen etwa oder Infusionen) wanderten von den Ärzten zu den Pflegern. Das sparte teure Arztstellen. Für noch mehr Einsparungen werden gerade so viele Turnusärzte aufgenommen, wie die Spitäler akut brauchen. Die Demografie – sechs von zehn niedergelassenen Ärzten gehen demnächst in Pension – interessiert sie nicht.

Milchmädchenrechnung

Kornhäusl rechnet anders. Würden Länder oder Bund den potenziellen Drop-outs die Turnusplätze finanzieren, käme das billiger als die verlorenen 500.000 Euro Studienkosten. Und Österreich hätte nach dem Exodus der älteren Ärztegeneration keine Versorgungslücke zu befürchten. Der Flaschenhals läge also nicht bei den Studien-, sondern bei den Turnusplätzen.

Es gibt noch ein zweites Leck, und zwar nach dem endgültigen Ausbildungsende nach neuneinhalb oder zwölf Jahren (siehe Grafik). Hier hat die Ärztekammer eine Vergleichszahl: Von den 1218 Absolventen des Jahrgangs 2015/16 ließen sich 460 bis Jänner 2018 nicht in die Ärzteliste der ÖÄK eintragen. Die Gründe, vermutet sie, liegen in den stetig unattraktiver werdenden Arbeitsbedingungen in Spital und Praxis. Macht zusammen 38 Prozent Drop-outs oder 227 Mio. Euro vergeblicher Studienkosten. Dabei klingt die Lösung recht einfach: die Jungärzte rasch in den Turnus bringen und die Zeit nützen, um einen reizvollen Rahmen für ihre künftige Tätigkeit zu schaffen. Aber das ist wohl leichter gesagt als getan.

AUF EINEN BLICK

Bis zu 18 Monate warten Jungärzte je nach Bundesland auf einen Turnusplatz. Ein Viertel geht daraufhin Österreich und/oder dem Beruf verloren, weitere 13 Prozent nach Abschluss der neuneinhalb- bis zwölfjährigen Ausbildung. Zusammen verursachen diese Drop-outs 227 Millionen Studienkosten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2018)

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