Die Freuden und Leiden der medizinischen Start-ups

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Gründer. Geht es um medizinische Innovationen, sind einige spezielle Gipfel zu erklimmen. Sie heißen Vorschriften, Regulatorien und Risikoscheu.

Es ist so eine gute Idee gewesen: eine App, die Frühsymptome erkennt, wenn ein an bipolarer Störung Erkrankter in seine manische oder depressive Phase kippt. Die App sollte ihm dann sofort Ratschläge geben, wie er damit umgeht.

Dann tauchte am Horizont die neue EU-Verordnung für Medizinprodukte auf. Zwar erst ab 2020 in Kraft, beamte sie das hoffnungsfrohe Start-up meemo-tec schlagartig in eine höhere Risikoklasse. Wer Empfehlungen gibt („Gehen Sie früher schlafen“), ist schon nicht mehr Risikoklasse I, sondern IIa und hat einen ungleich komplexeren Genehmigungsprozess vor sich. 30.000 bis 60.000 Euro müsse man dafür in die Hand nehmen, sagt Gründer Manfred Weiss seufzend. Welches Start-up hat diese schon?

Meemo-tec blieb nichts anderes übrig, als seine Geschäftsidee zu adaptieren. Keine Empfehlungen mehr, stattdessen ein unverdächtiges „Stimmungstagebuch“. Und Info an die Familie, doch beim Erkrankten vorbeizuschauen, wenn er Symptome zeigt (wenn das bloß keine Empfehlung ist).

Raum für Neues lassen

Willkommen im Universum der medizinischen Start-ups. Sie haben dasselbe Feuer, dieselbe Begeisterung wie jedes andere Start-up. Sie meistern denselben Förderungsmarathon, durchleben dieselben Finanzierungsnöte. Doch sie haben einige Gipfel zusätzlich zu erklimmen. Sie heißen Vorschriften, Regulatorien und Risikoscheu.

Nun haben alle Direktiven und Qualitätsvorgaben ein unbestrittenes und hehres Ziel: die Patienten zu schützen. Doch darüber erstickt so manche gute Idee. Oder die extra fordernden Vorgaben und Regulierungen halten die Start-ups von ihrer Lebensader fern, nämlich das Produkt auf den Markt zu bringen. Oder herauszufinden, ob es überhaupt einen Markt dafür gibt.

„Es muss Räume geben, in denen Neues ausprobiert werden darf“, verlangt etwa Andreas Krug, CEO von Gluco Tab. Krugs Software unterstützt die Spitalsbetreuung von Diabetes-Typ-2-Patienten. Anhand der individuellen Daten errechnet der Algorithmus Insulindosis und Tagesverteilung. Personal und Patienten sind angetan: „Einer hat einmal gesagt, genau dieses Insulin will er jetzt immer haben“, strahlt Krug. „Es lag nicht am Insulin. Nur die Dosis war endlich die richtige.“

Krugs Firma, streng genommen ein Spin-off aus einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt, hat mit zwei Stolpersteinen zu kämpfen. Zum einen sind zwei seiner Investoren, die Med-Uni und das Joanneum Graz, öffentliche Universitäten. Zwar lobt er die Zusammenarbeit mit den beiden Minderheitseigentümern über den grünen Klee, gleichzeitig zwingt sie ihn zu erhöhtem Rechtfertigungsaufwand, weil es hier um öffentliche Gelder geht. „Es war ein schönes Stück Arbeit“, formuliert er es diplomatisch, „die Ansprüche der vielen Stakeholder unter einen Hut zu bringen.“

Bloß nichts riskieren

Der zweite Stolperstein: Neben überproportionalem Qualitätsaufwand – Stichwort ISO 13485 – stöhnt er unter der Übervorsicht potenzieller Kunden im Spitals-procurement. Sie könnten ängstlicher kaum sein. Dabei versteht er ihre Motive: „Bewährt sich etwas, redet keiner davon. Geht es schief, stellen alle den Einkäufer an die Wand“, meint er überspitzt.

Nachvollziehbar: Kostendruck und Investitionsrisiko machen dem Spitalsmanagement schwer zu schaffen. Da bleibt man lieber bei dem, was man schon kennt. So wie bei Notrufarmbändern und Druckmatten. Sie gäbe es seit Jahrzehnten, erzählt Rainer Planinc, dessen Start-up Cogvis altersgerechte Assistenzsysteme für Pflegeheime vertreibt. Sie erkennen bereits, wenn sich ein bettlägriger Patient nur aufsetzt, und verständigen sofort das Personal. Das beuge Stürzen vor, spare vor allem nachts Personal und damit teure Zuschläge ein – bei günstigeren Anschaffungskosten als bei bekannten Systemen.

Aber: Der Personalschlüssel ist dem Spital vorgegeben, das Management werde sich hüten, ihn zu verändern, sagt Planinc. „Alle kämpfen so sehr mit Vorschriften und Prozessen“, sagt Planinc, „dass sie keinen Platz für neue Technologien haben – selbst wenn sie ihnen helfen.“

AUF EINEN BLICK

Bei medizinischen Innovationen will der Gesetzgeber die Patienten mit besonders straffen Richtlinien (z. B. EU-Verordnung für Medizinprodukte) oder Qualitätsvorgaben (z. B. Zertifizierung ISO 13485) schützen. Beide strapazieren die ohnehin knappen Budgets und Zeitpläne der Start-ups und ersticken so manche Innovation im Keim. Gleichzeitig kämpfen die Gründer gegen die überaus hohe Risikoaversion der Spitalseinkäufer, die keinen Grund haben, von bewährten alten Technologien abzurücken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2018)

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