Habsburg: Die Hofburg bleibt fest verriegelt

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Warum kein Familienmitglied für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten antreten darf. Der ominöse Passus besteht seit dem 1. Oktober 1920.

Zum Bundespräsidenten kann nur gewählt werden, wer das Wahlrecht zum Nationalrat besitzt und am Wahltag das 35. Lebensjahr vollendet hat. Ausgeschlossen von der Wählbarkeit sind Mitglieder regierender Häuser oder solcher Familien, die ehemals regiert haben.“

So steht es in der geltenden Bundesverfassung – Artikel 69. Und im Bundespräsidentenwahlgesetz (§ 6). Um diesen Passus gibt es zurzeit (wieder einmal) Diskussionen, weil der grüne Gemeinderat Ulrich Habsburg-Lothringen in Kärnten für sich und seine Schwiegertochter Gabriele diesen Passus anficht. Vor allem der Status der angeheirateten Habsburgerin Gabriele ist mehr als ungeklärt. Die unvermeidlichen Verfassungsexperten Heinz Mayer und Theo Öhlinger vertreten die Ansicht, dass hier der Einzelfall geprüft werden sollte.

Nur ein Mann?

Ein Unikum – ohne Zweifel. Nicht nur, dass lediglich von einem Mann als Staatsoberhaupt die Rede ist – was heutzutage als politisch völlig „inkorrekt“ gelten sollte. Nein, auch der Verweis auf eine „Familie, die ehemals regiert hat“, und heute rund 600 Mitglieder zählt, birgt Unschärfen. Entscheidend dürfte sein, wer berechtigt gewesen wäre, „die Regierungsgewalt zu beanspruchen“, was bei der Kärntnerin Gabriele ja wohl eher unwahrscheinlich sein dürfte. Wer es ganz genau wissen will, müsste sich die „Pragmatische Sanktion“ aus dem Jahr 1713 hernehmen, also die habsburgische Erbfolgeregelung.

Der ominöse Passus besteht seit dem 1. Oktober 1920. Damals wurde das „Bundesgesetz, mit dem die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird“ verkündet. Von da an wurde die Bundesverfassung unzählige Male novelliert – die Habsburger-Passage ist jedesmal mitübernommen worden und gilt heute noch.

Aber wie kam es 1920 zu dieser heute anachronistisch anmutenden Textstelle? In nicht unberechtigter Sorge vor einem habsburgischen Restaurationsversuch handelte die junge Republik panikartig.

Blenden wir zurück. November 1918. Seit einer Woche ist der Weltkrieg zu Ende. Von den acht Millionen Soldaten, die zwischen 1914 und 1918 ins Feld gezogen waren, sind 1.016.000 gefallen, 1.943.000 verwundet, 1.691.000 in Gefangenschaft, in der nochmals 480.000 sterben werden bzw. schon gestorben sind. Im kaiserlichen Sommerschloss Schönbrunn „regiert“ ein machtloser Kaiser Karl, den die politische Entwicklung längst überrollt hat. Er soll zur Abdankung gezwungen werden.

Am Nachmittag des 11. November fahren der Wiener Kardinal Friedrich Gustav Piffl und der bisherige k.k.-Sozialminister Prälat Ignaz Seipel nach Schönbrunn. Sie handeln im Auftrag des neuen deutschösterreichischen Staatsrates unter Karl Renner. Jetzt muss alles sehr schnell gehen: Für den nächsten Tag sind Demonstrationen zu befürchten. Entweder proklamiert die Straßeeinfach die Republik, ohne auf die Parteien zu warten oder die kommunistische „Rote Garde“ fährt nach Schönbrunn hinaus und erzwingt Karls Abdankung.

Karl soll sich zurückziehen

Hektisch wird nach einem Kompromiss gesucht. Die Sozialdemokraten Karl Renner und Karl Seitz haben mit dem letzten kaiserlichen Ministerpräsidenten Heinrich Lammasch und mit Ignaz Seipel ein kaiserliches Manifest entworfen, das allen Forderungen gerecht werden könnte: Man verlangt keineswegs die Abdankung, noch weniger den Verzicht für den bald sechsjährigen Kronprinzen Otto und die Dynastie, sondern lässt alles offen. Für den Augenblick freilich müsse rasch Ruhe einkehren, Karl solle sich zurückziehen.

Erst nach einer erregten Auseinandersetzung, in die sich Kaiserin Zita einmischt, resigniert der Herrscher. Er unterzeichnet das Papier – wie immer – mit Bleistift. Damit verzichtet Karl „auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften“.

Doppeldeutiges Manifest

Und von da an legt jeder das kaiserliche Manifest auf seine Weise aus: Der Staatsrat ist froh, wenigstens dieses Papier mit Karls Unterschrift in Händen zu haben; der 31-jährige Kaiser hingegen kann sich dem Glauben hingeben, er habe schließlich nicht auf den Thron verzichtet, sondern sich nur vorübergehend „zurückgezogen“.

Während sich die kaiserliche Familie samt Gefolge ins Schlösschen Eckartsau in den Donauauen begibt, tritt am 12. November der Großdeutsche Franz Dinghofer namens der provisorischen Nationalversammlung auf die Rampe des Parlamentsgebäudes. Vor einer hunderttausend Köpfe zählenden Menschenmenge proklamiert er unter tumultartigen Umständen die „Republik Deutschösterreich“.

Am 13. November erzwingen Fürst Nikolaus Esterházy und Graf Emil Széchenyi von Karl eine ähnliche Verzichtserklärung für den ungarischen Teil der Monarchie. Der gekrönte König von Ungarn und Kroatien, Karl IV. (ungarisch „IV. Károly“, kroatisch „Karlo IV.“), ist damit Geschichte.

Aber Karl will die Realitäten nicht sehen, wie sie sind. Er steht unter Schock. Vor allem für Zita ist es undenkbar, dass ein Herrscher von Gottes Gnaden vom Volk zur Abdankung gezwungen werden könne. Wenn man falle – „dann kommt eben Otto . . .“

„Straßenräuber . . .“

Aus Eckartsau schreibt Karl an Kardinal Piffl: „. . . Ich bin und bleibe der rechtmäßige Herrscher Deutsch-Österreichs. Ich habe und werde nie abdanken . . .“Und weiter: „Die jetzige Regierung ist eine Revolutionsregierung, da sie die von Gott eingesetzte Staatsgewalt beseitigt hat. Mein Manifest vom 11. November möchte ich mit einem Scheck vergleichen, welchen mit vielen tausend Kronen auszufüllen uns ein Straßenräuber mit vorgehaltenem Revolver zwingt. [. . .] Nachdem auf die Armee auch kein Verlass mehr war, und uns selbst die Schlosswache verlassen hatte, entschloss ich mich zur Unterschrift. Ich fühle mich durch diese absolut nicht gebunden.“

Karl Renner in Wien ist alarmiert. Er muss einen Schritt weiter gehen: So wie der abgedankte deutsche Kaiser Wilhelm soll Karl ins neutrale Ausland abgeschoben werden. Ein gutes Argument ist die immer unsicher werdende Situation in Eckartsau. Das Schlössl wird auf Befehl des Wiener Polizeipräsidenten Johannes Schober von nur zwölf Wiener Polizisten geschützt. Renner hat aber noch einen zweiten Grund, sich des Habsburgers zu entledigen – den behält er aber für sich: Karl schickt unermüdlich Briefe quer durch Europa, in denen er unverblümt gegen die Politik der Sozialdemokraten agitiert. Die wollen Österreich an Deutschland anschließen. Das kommt für Karl & Zita überhaupt nicht infrage.

In den ersten Jännertagen des Jahres 1919 versucht Renner, den gordischen Knoten selbst zu zerschlagen. Unangemeldet erscheint er in Eckartsau. Doch dort herrschen noch Reste von Hofetikette: Fregattenkapitän von Schonta fängt den Bittsteller im Erdgeschoß ab, lässt ihn mit einem Mittagessen verköstigen, aber das bisherige Kaiserpaar bleibt im ersten Stock. Der Mann wird nicht empfangen . . .

Im Februar greift König Georg V. von England ein. Er fürchtet um das Leben der Kaiserfamilie, hat das warnende Beispiel der ermordeten russischen Zarenfamilie vor Augen. Die Brüder Zitas, die Prinzen Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma, setzen schließlich durch, dass der britische Oberstleutnant Edward Lisle Strutt von Venedig aus in Marsch gesetzt wird und ab 27. Februar als Ehrenoffizier in Eckartsau agiert.

Letzte Konsequenz: Internierung

In Wien erfährt der neue britische Beschützer, dass jetzt auch die Christlichsozialen den bisherigen Kaiser abschieben wollen. Die beiden Koalitionsparteien formulieren folgende Alternativen:

1. Sollte der Kaiser auf all seine Rechte verzichten, könne er mit seiner Familie als einfacher Bürger in Österreich bleiben.

2. Falls er die Abdankung verweigert, muss er ins Exil gehen.

3. Falls er beide Möglichkeiten zurückweist, muss er mit Internierung rechnen.

Strutt handelt nun schnell. Er kann den immer noch widerstrebenden Kaiser zur Ausreise überreden. Und er gibt sein Wort, als ihn Karl anfleht: „Versprechen Sie mir, dass ich als Kaiser abreisen werde und nicht wie ein Dieb in der Nacht.“

Am 23. März 1919 nahm die Familie Abschied von Österreich: Karl, Zita, die Kinder Otto, Adelhaid, Robert und Felix, Karls Mutter Erzherzogin Maria Josepha und einige Getreue. Auf dem Bahnhof standen an die 2000 Menschen. Es war gegen sieben Uhr abends, bereits dunkel. Es regnete. Vor dem Salonwagen salutierten britische Militärpolizisten. Karl winkte zum Abschied der Menschenmenge zu und rief: „Auf Wiedersehen, meine Freunde!“ Dann drehte er sich um und meinte resignierend zu Strutt: „Nach siebenhundert Jahren . . .“

Am frühen Morgen des 24. März 1919 passierte der Sonderzug Feldkirch. Hier unterzeichnete Karl sein letztes Manifest auf heimatlichem Boden, in dem er alle Beschlüsse der Republik Deutschösterreich für null und nichtig erklärte – zumindest „für mein Haus“. Diese Erklärung war letztlich für Karl Renner Grund genug, die dauernde Landesverweisung als Gesetz zu verankern (StGBl. 209/1919): „Im Interesse der Sicherheit der Republik werden der ehemalige Träger der Krone und die sonstigen Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen, diese, soweit sie nicht auf ihre Mitgliedschaft zu diesem Hause und auf alle aus ihr gefolgerten Herrschaftsansprüche ausdrücklich verzichtet und sich als getreue Staatsbürger der Republik bekannt haben, des Landes verwiesen.“

Die Nationalversammlung von Deutschösterreich beschloss neben der Landesverweisung auch die Beschlagnahme der habsburgischen Familienfonds. Eine Restitution dieser privaten Vermögen durch die Republik ist bis heute nicht erfolgt. Ein diesbezüglicher Versuch Christian Habsburgs namens eines Teils der Familie ist zuletzt 2005 abgeschmettert worden. Der Enkel des letzten Kaiserpaares wäre übrigens auch nicht für die Hofburg wählbar. Er lebt im schweizerischen Jussy.

Zwei Enkel auf VP-Mandaten

Zwei andere Enkel haben für kurze Zeit in der 2. Republik politisch mitgemischt. Da war einerseits Ottos Erstgeborener Karl, der mit einem ÖVP-Ticket ins Europäische Parlament geschickt wurde, nach einer Spendenaffäre aber sein Mandat nicht mehr erneuert hat; anderseits saß Vincenz Lichtenstein im Nationalrat und Bundesrat. Er war Sohn von Elisabeth, einer Schwester Ottos, die in das Fürstenhaus Lichtenstein eingeheiratet hatte. Vincenz starb vor zwei Jahren überraschend mit 58 Jahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2010)

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