Richter und Staatsanwälte erhöhen den Druck auf die Regierung. Ab Montag sollen die „verhandlungsfreien Wochen“ Realität werden. Auch weitere Maßnahmen sind bereits geplant.
WIEN. Ab Montag (22. 2.) sollen die bereits angedrohten „verhandlungsfreien Wochen“ an Österreichs Gerichten Realität werden. „Tausende Verhandlungen in ganz Österreich wurden abberaumt“, bestätigt Manfred Herrnhofer, Vizepräsident der Richtervereinigung im „Presse“-Gespräch.
Die Maßnahme (eine „verhandlungsfreie Woche“ pro Monat) ist vorerst bis inklusive Juni vorgesehen. So wollen Richter und Staatsanwälte ihre Forderung nach mehr Personal durchsetzen. Sollte die (in Österreich bisher erstmals durchgeführte) Aktion nicht greifen, will man die Schraube weiter anziehen – „bis hin zum Streik“.
Dies drohte der Vorsitzende der Richtergewerkschaft, Klaus Schröder, am Freitag vor Journalisten an. Ihre Forderungen untermauern die Richter und Staatsanwälte mit der sogenannten Personalanforderungsrechnung (PAR). Diese hat das Personalberatungsunternehmen Deloitte durchgeführt – und zwar im Auftrag des Justizministeriums für ein Honorar von 1,3 Mio. Euro. Laut dieser Rechnung fehlen in Österreich 187 Richter, 43 Staatsanwälte und 200 Verwaltungsbedienstete (etwa für die Kanzleien der Gerichte und Anklagebehörden).
Zuletzt wurden Zweifel an der Richtigkeit der Berechnung laut, Hauptkritikpunkt: Die Zahlen basieren (naturgemäß) auf den Angaben der Betroffenen selbst; auch wenn die Auswertung von Vertretern des Finanzministeriums und des Kanzleramts begleitet wurde, konnte doch nicht in jedem Einzelfall kontrolliert werden, ob für die Erledigung bestimmter Akten nicht zu viel Zeit angegeben wurde. Dennoch: Justizministerin Claudia Bandion-Ortner erklärte erst am Montag im Rahmen einer Veranstaltung: „Die Studie ist seriös. Ich anerkenne diese Zahlen.“
Ohne Zweifel herrschen gerade bei der Aufarbeitung von Wirtschaftscausen (Stichworte: Hypo Alpe Adria, Meinl/MEL) Engpässe. Gerade diese sollen aber, laut Justizressort, durch den zusätzlichen Einsatz von 35 Wirtschaftsstaatsanwälten samt Begleitpersonal ausgeglichen werden. Die Richter und Staatsanwälte lassen sich auch angesichts dieser Zugabe von ihren Forderungen nicht abbringen. Seit Monaten warnen sie davor, dass die Qualität der Rechtsprechung unter dem Personalmangel leide. Außerdem, so Herrnhofer: „Mit dieser Maßnahme werden wieder die Banken bevorzugt, zuerst erhalten sie Staatshilfe und dann stellt man mehr Personal zur Verfügung, um ihre Verfahren aufzuarbeiten.“
In dieselbe Kerbe schlägt auch der Präsident der Richtervereinigung, Werner Zinkel. Das Personal fehle dafür bei weniger öffentlichkeitswirksamen Rechtssachen, etwa bei Familienrechtsstreitigkeiten: „Väter warten monatelang auf ein Besuchsrecht, die Sorgen der kleinen Leute werden völlig ignoriert.“
Wie wirken sich die „verhandlunsgfreien Wochen“ in der Praxis aus? Offiziell wollen Richter und Staatsanwälte die Zeit nutzen, um Akten aufzuarbeiten. Klar ist: Kein Richter kann gezwungen werden, in dieser Zeit nicht zu verhandeln. Gerade bei großen Strafverfahren mit wichtigen Zeugen, Sachverständigen und dicht gedrängten Terminplänen ist davon auszugehen, dass trotz allem verhandelt wird.
Auch weitere Maßnahmen sind bereits geplant. Sollte die Bundesregierung keine Anstalten machen, auf die Wünsche der Justiz einzugehen, so sollen ab Anfang März auch die Amtstage an Österreichs Gerichten ausfallen. Üblicherweise können Bürger jeden Dienstag zu Gericht gehen und Rechtsauskünfte einholen.
Zudem lassen die Richter mit einem an sich unerwarteten Vorschlag aufhorchen: Die Anzahl der Bezirksgerichte, derzeit 141, sollte auf 100 bis 110 schrumpfen. Eine solche „Strukturbereinigung“ sei aber schon 2005 am Widerstand der Politik gescheitert. Schröder beklagt: „Zwergengerichte, die viel Geld und Personal binden, gibt es immer noch.“
Indessen geht die Anwaltschaft auf Distanz zu den Richtern. Der Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer Michael Auer zur „Presse“: „Die ,verhandlungsfreien Wochen‘ gehen zulasten der Bürger, der Anwälte und Klienten und zulasten der Wirtschaft.“
Das Abberaumen von Strafsachen würde „ein völliges Chaos“ bringen. Auer schlägt als Entlastung der Gerichte vor, die Möglichkeiten von außergerichtlichen Einigungen auszubauen. Vor allem sollten die derzeit fälligen Gebühren bei außergerichtlichen Vergleichen von zwei auf 0,5 Prozent des Streitwerts gesenkt werden. So könne man sich „25 Prozent aller Gerichtsstreitigkeiten“ ersparen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2010)