Demografieforscher: "Die Schwellenländer werden uns abhängen"

Interview: Der Demografieforscher Wolfgang Lutz erklärt, warum das schrumpfende Europa viel stärker in Bildung investieren muss, wenn es mithalten will. Und er sagt auch Afrika sinkende Geburtenraten voraus. Von Julia Harz

Die UNO hat prognostiziert, dass im Jahr 2050 9,1 Milliarden Menschen auf der Welt leben. Wird die Bevölkerungsexplosion auch einmal ein Ende haben?

Wolfgang Lutz: Genau lässt sich das nicht vorhersagen, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Weltbevölkerung im Jahr 2050 zwischen 8,5 und 9,5 Milliarden liegen. Aufgrund der weltweit sinkenden Geburtenraten sollte sich das Bevölkerungswachstum aber gegen Ende des Jahrhunderts stabilisieren.

Woran liegt es, dass in Ländern wie Deutschland und Japan die Bevölkerungszahlen schrumpfen, während sie in Afrika explodieren? Gibt es einen „Wohlstandsschlüssel“, der diese Entwicklung erklärt?

Lutz: In allen europäischen Ländern liegt die Geburtenrate derzeit unter dem Bestanderhaltungsniveau von zwei überlebenden Kindern pro Frau. Zuwanderung führt in den meisten Staaten dazu, dass die Bevölkerung noch leicht wächst. In Deutschland und Japan sind die Geburtenzahlen schon länger besonders niedrig, sodass das Geburtendefizit nicht mehr durch Zuwanderung abgedeckt wird und die Bevölkerung schrumpft.

Dagegen bekommen Frauen in Afrika im Schnitt noch fünf bis sechs Kinder. Dort ist der Prozess des demografischen Übergangs, der bei uns schon vor 1900 begann, noch ganz am Anfang: Die Sterberaten sind zwar schon gefallen, aber die Geburtenzahlen fallen erst mit Verzögerung, da sie stärker in die sozialen und kulturellen Normen eingebunden sind.

Allerdings erwarten wir für die Zukunft auch eine Abnahme der Geburtenrate in Afrika.

Dieser Prozess wird von einer allgemeinen Modernisierung der Gesellschaft getrieben. Eine ganz besonders wichtige Rolle spielt dabei die Bildung der Frauen.

Wird sich durch den rapiden Bevölkerungszuwachs außerhalb der westlichen Welt künftig die globale Machtbalance verschieben? Wird Asien weiter am Einfluss gewinnen?

Lutz:Die Machtbalance hängt nicht so sehr von der Zahl der Menschen ab, sondern vom Humankapital. Das heißt, von der Bildung der Menschen und infolgedessen von der wirtschaftlichen Stärke einer Gesellschaft. Gerade bei der Bildung haben Länder wie China in letzter Zeit enorm aufgeholt. Wenn Europa nicht noch viel stärker in Bildung und Forschung investiert, werden wir vermutlich bald von den Schwellenländern abgehängt.

Welche Auswirkung hat die enorme Alterung auf die europäische Gesellschaft?

Lutz: Die Alterung der Bevölkerung ist in erster Linie kein Problem, sondern ein großer Erfolg: Wir leben deutlich länger und Paare können die Zahl an Kindern haben, die sie sich wünschen. Auch ist nicht klar, ob die Pflegebedürftigkeit in Zukunft tatsächlich zunimmt, da die zukünftigen Alten auch wesentlich gebildeter sein werden und besser Gebildete erst später pflegebedürftig werden. Das Hauptproblem bei der Alterung ist unser unflexibles Pensionssystem. Es führt letztlich kein Weg an einer Erhöhung des Pensionsalters vorbei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2010)

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