Lagos: Gottes verlassene Stadt

(c) Illustration: Lillian Panholzer (Die Presse)
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Wie Afrikas Metropole in ihren Bevölkerungsmassen versinkt.

WIEN/LAGOS(jh). Bis 2050 wird ein Drittel der Weltbevölkerung in Großstädten leben. Besonders in Afrika, wo auch die Bevölkerung rapide zunimmt, schreitet die Urbanisierung drastisch voran.

Die nigerianische Stadt Lagos, 1980 noch kleiner als Berlin, wird in drei Jahren mit 24 Mio. Einwohnern die drittgrößte Stadt der Welt sein. Mit 17 Mio. Bewohnern ist die Metropole am Golf von Guinea schon heute völlig überbevölkert: Jeder zehnte Nigerianer wohnt inzwischen dort, bis zu 30.000 Menschen auf einem Quadratkilometer (Berlin: ca. 3800).

Nicht nur die hohe Geburtenrate beschleunigt das Hyperwachstum der Stadt: In der Hoffnung auf ein besseres Leben kommen täglich tausende neue Einwanderer ins wirtschaftliche Zentrum des Landes. Weil fester Wohnraum fehlt, werden spontane unkoordinierte Siedlungen aus Abfällen errichtet. Eine allgemeine Müll- und Abwasserentsorgung gibt es nicht, auch keine Ampeln oder Stadtpläne. Dennoch scheinen sich die Bewohner von Lagos mit den Lebensumständen arrangiert zu haben: Die täglichen Stromausfälle interessieren hier niemanden mehr.

50 bis 70 Prozent Slums

Regierung und Stadtplanung haben längst die Kontrolle über das unberechenbare Chaos verloren. Das einstige Venedig Afrikas ist heute eine der dreckigsten Metropolen des Kontinents. Laut aktueller Statistiken wohnen 50 bis 70 Prozent der Bewohner in den Slums. Trotz radikaler Vertreibungen durch die Behörden kehren die perspektivenlosen Menschen zurück.

Wer schlau ist und Geld hat, versucht sein Glück im Ausland – oder lebt in den luxuriösen Wohnvierteln auf den Inseln Victoria und Ikoyi. In diesen sogenannten „gated communities“ werden die Regierenden und ausländische Besucher, hauptsächlich Diplomaten oder Geschäftsleute aus dem Öl- und Waffenhandel, durch einen Schutzwall vor unerwünschten Eindringlingen abgeschirmt.

Aber auch diese Sonnenseite könnte sich bald trüben: Wissenschaftler zählen Lagos zu den weltweit am meisten vom Klimawandel bedrohten Gebiete.

Indes träumen die Stadtplaner von der Megacity: Der Lekki-Masterplan soll Lagos zukünftig in eine Metropole wie Dubai und Shanghai verwandeln. Dass Lagos bald im Meer versinken könnte, wird ignoriert. Kaum verwunderlich in einer Stadt, in der viele Bewohner nicht wissen, ob sie den nächsten Tag überleben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2010)

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