"Jud Süß"-Film: „Pfui“ zu Nazisex mit Moretti

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Austro-Filme im Bewerb: Die „Jud Süss“-Groteske mit Tobias Moretti ist irritierend wirr, das Drama „On the Path“ spießig. „Caterpillar“ aus Japan begeistert.

Vom Balkon des Berlinale-Palasts herab schallt es „Pfui!“: Auf der Leinwand wird gerade Gudrun Landgrebes laszive Nazi-Lady von Tobias Morrettis besoffenem Ferdinand Marian beglückt. Im Hintergrund regnet es Bomben auf Berlin. Es ist die vulgärste, aber auch beste Szene aus Oskar Roehlers deutsch-österreichischem Wettbewerbsbeitrag Jud Süss – Film ohne Gewissen: Roehlers melodramatische Groteske handelt von der Entstehung des berüchtigten NS-Propagandafilms Jud Süß, vor allem von der mephistophelisch angehauchten, mit theatralischem Gestus vorgebrachten Lebenstragödie des österreichischen Hauptdarstellers Ferdinand Marian.

Tobias Moretti spielt diesen gänzlich unpolitischen Strizzi, der erst durch die fulminanten Drohgebärden von Goebbels (fehlbesetzt wild durch die Luft fuchtelnd: Moritz Bleibtreu) zur Mitwirkung im „kriegswichtigen“ Werk umgestimmt wird: Ein Rampenlicht- und Liebessüchtiger („Ihre Frau hat so schöne Tuttln!“), der für seinen totalen Sieg beim Publikum einen Pakt mit dem Teufel eingeht – und daran zerbricht. Das deutsche Kino hat sich im letzten Jahrzehnt vielfach an Stahlgewittern, Blitzkriegen und Führerbunkern gelabt, die unbegreiflichen Entwicklungen im Zweiten Weltkrieg zu begreif- und konsumierbarem Multiplex-Futter verknappt. Vor diesem Hintergrund wirkt Roehlers Film fast anarchisch, das abschließende Buhkonzert ungerecht.

NS-Propaganda und Seifenoper

Jud Süss – Film ohne Gewissen krankt am Eklektizismus des Regisseurs, springt unvermittelt zwischen Gangarten herum – von purer Kolportage zum versuchten Psychogramm. Einzelne Stücke fressen sich dabei gegenseitig auf, wie die theatralischen Kulissen und das Seifenopernspiel einiger Akteure (Justus von Dohnányi als Veit Harlan oder Armin Rohde als Heinrich George). Aber es sprühen auch unorthodoxe, unerhörte Funken: Das Warschauer Ghetto, wo die Filmcrew Statisten sucht, hätte in seiner beschönigenden Flächigkeit und der Vielzahl an „jüdischen“ Gesichtern so auch in Harlans NS-Film auftauchen können.

Weil die Grenze zwischen der Propaganda von damals und ihrer Roehler'schen Kontextualisierung fließend ist und das Resultat ohne pädagogische Prädikate ausläuft, produziert es eine Vielzahl an Irritationseffekten. Die Entrüstung darüber war so groß, dass die eigentliche Zumutung des Berlinale-Wettbewerbs schulterzuckend durchgewunken wurde: Jasmila ?bani? (Goldener Bär für Grbavica) erzählt in ihrem zwischentonlosen Drama Nu Putu (On the Path) vom Zerbrechen einer Beziehung im Nachkriegs-Sarajevo: Fluglotse Amar wird wegen Alkoholismus vom Dienst suspendiert, folgt der Einladung eines Exkriegskameraden, wird zum Wahhabiten. Als strenggläubiger Moslem rät er seiner lebenslustigen Partnerin Luna daraufhin von aufreizender Kleidung ab, Sex mit ihr kann er sich erst nach der islamischen Hochzeit wieder vorstellen.

Intime Gewalt: Kriegsheld ohne Glieder

?bani? lässt keinen Zweifel daran, dass ihr Herz für die westliche Gesellschaft und deren Wertesystem schlägt: Die orthodoxen Gläubigen sind in ihrer arroganten Austro-Koproduktion kaum mehr als ein plattes Sinnbild für „das andere“, das einer selbst bestimmten Lebensführung im Weg steht. On the Path ist Spießerkino, das Vorurteile verstärkt, vor dem Religionsdialog zurückschreckt, stattdessen ein bedeutungsschwangeres Beziehungsdramolett serviert.

Dass man über das Private sehr wohl zum Politischen (oder Religiösen) vorstoßen kann, beweist der Japaner Kôji Wakamatsu im Wettbewerbsfilm Caterpillar. Aus dem Zweiten Sino-japanischen Krieg kehrt ein hoch dekorierter Soldatenheld ohne Gliedmaßen in sein patriotisch aufgeheiztes Heimatdorf zurück. Zwischen der Ehefrau und dem „Raupenmann“ entspinnt sich ein perverses, so grausames wie zärtliches Kammerspiel um Sexualität, Gewalt und Abhängigkeiten: Der Krieg verlagert sich auf zwischenmenschliche Intimzonen, kulminierend in einem Akt der Selbstauslöschung.

Caterpillar begeistert wegen der Beiläufigkeit, mit der Wakamatsu – ein alter Anarchist, der seine Vergangenheit kritisch aufgearbeitet hat – die sehr persönlichen Konsequenzen des Kriegs ohne Bomben und Granaten serviert. Als wollte er sagen: „Schaut her! So ist es einfach. Das müsst ihr akzeptieren.“ Am Ende rufen einem Schriftzüge über Archivbildern von Hinrichtungen nochmal die Leichenberge der Vergangenheit in Erinnerung. Man schaudert und denkt an den Nazi aus Jud Süss – Film ohne Gewissen, der meint: „Das Böse ist doch immer interessanter als das Gute!“ Genau.

AUf EInen Blick

Der Berlinale-Wettbewerb wurde wieder einmal als enttäuschend eingestuft. Vage Favoriten: das rumänische Gefängnisdrama „If I Want to Whistle, I Whistle“ und der austrodeutsche Film „Der Räuber“ – sowie dessen Wiener Hauptdarsteller Andreas Lust.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2010)

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