Jubelstürme für das Operntraumpaar Kaufmann und Harteros in Giordanos Revolutionsdrama „Andrea Chénier“: ein nach schleppendem Anfang großer Abend.
Proteggermi volete? – Wollt Ihr mich beschützen? Ich hoffe auf Euch“, fleht Anja Harteros mit cremig-innigem Pianoklang als in den Revolutionswirren verlorene Maddalena. Darauf soll Chénier „mit der ganzen Begeisterung seiner Seele“ antworten, wie Komponist Umberto Giordano in der Partitur verlangt, und die liebliche Stunde preisen: „Ora soave . . “ Auf dem hohen As setzt seine Phrase an, eine heikle Stelle – wie singt man das? Viele große Tenöre der Vergangenheit, darunter Franco Corelli oder Luciano Pavarotti, haben hier sogar im Studio geschummelt und in bequemem Forte eine Terz tiefer begonnen, also Maddalenas Ton übernommen, um sich erst dann in die Höhe zu schwingen. Jonas Kaufmann aber wagt selbst auf der Bühne das Außergewöhnliche, Riskante – und lässt das As aus dem Pianissimo anschwellen und aufblühen.
Zugegeben, der sanfte Coup mit diesem Seelenton gelang ihm etwa letztes Jahr in der Premiere an der Bayerischen Staatsoper noch besser, runder als nun in Wien, aber was macht das schon? Das Ergebnis ist das gleiche und wirkt doppelt: Musikalisch drückt es aus, wie dieser Chénier die Geliebte nicht vokalmuskelprotzend übertrumpft und die Situation ausnützt, sondern wie sich aus der Umarmung Gemeinsames entwickelt. Und über den Interpreten erfahren wir, dass er hier alles gibt – womit eben nicht bloß stimmliches Dauerfeuer gemeint ist, im Gegenteil: Ihm ist Expressivität wichtiger als Sicherheit. Man kann sein baritonales Timbre besonders aufregend finden oder eine stärkere Prise Sonne darin vermissen, außerdem mag es im Ganzen mittlerweile etwas rauer klingen, im Volumen nicht gerade gewachsen sein. Aber der intelligente, feinfühlige Musiker Kaufmann ist, ein knappes Jahr nach seinem letzten Auftritt als Cavaradossi im Haus am Ring, nach wie vor auf der Höhe – und das ist bei Tenören alles andere als alltäglich. Was bleibt Maddalena da schon anderes übrig, als an seine Brust zu sinken?