Die Regierung lobt sich selbst und inszeniert sich als reformfreudig. Beim Thema Kassen und Mindestsicherung fordert man die Länder heraus, bei der Verwaltungsreform nicht.
Wien. „Und es ist vereinbart, dass ein entsprechender Ministerratsvortrag zur Reform der Sozialversicherungen in der ersten . . .“, sagte Vizekanzler Heinz-Christian Strache bei der Pressekonferenz. Und begann, in seinen Unterlagen zu kramen, um den Termin ausfindig zu machen. „Maihälfte“, sagte Kanzler Sebastian Kurz ihm ein. „Ah, Maihälfte, na schau, da bin ich selbst überrascht, wie schnell und wie toll wir arbeiten“, setzte Strache fort. „Denn ich habe eigentlich erst mit Anfang Juni gerechnet“, erklärte der Vizekanzler.
Bereits für Dienstagmorgen, einen Tag vor dem eigentlichen Regierungstreffen in Form des heutigen Ministerrats, hatte die Koalition die Medien ins Kanzleramt geladen. Kurz und Strache bilanzierten dabei positiv die Ergebnisse ihrer Parteien bei den vier heurigen Landtagswahlen. Sie lobten ihre gute Zusammenarbeit im Bund. Und sie betonten, vor dem Sommer drei Reformprojekte angehen zu wollen.
Es sind keine überraschenden Vorhaben, sondern solche, die die Regierung bereits zuvor angekündigt hat. Neu ist der Zeitplan. Und dass man Druck auf die Länder macht. Etwa bei der Vereinheitlichung der Mindestsicherung. Bis Ende Juni wollten die Sozialreferenten der Länder ihre Reformideen vorlegen. „So lange wollen wir nicht warten“, erklärte Kurz nun. Und kündigte an, dass die Regierung bereits am 1. Juni ihren Plan präsentieren will. Das erklärte Ziel: Wer neu ins Sozialsystem kommt (etwa Migranten), soll künftig weniger erhalten als Personen, die schon länger eingezahlt haben.
Neuaufstellung bei Kassen
Für Diskussionen mit den Ländern dürfte auch die Reform der Sozialversicherungen sorgen. Von den bisher 21 Sozialversicherungsträgern sollen maximal fünf fortbestehen. Das sei „ein riesiges Projekt“ und eines, „das uns längere Zeit beschäftigen wird“, sagte Kurz. Inwieweit die Regierung selbst stärker Einfluss auf die bisher selbstverwalteten Kassen nehmen will, ließ Kurz offen. Die Selbstverwaltung an sich sehe er positiv, sagte Kurz. Es solle aber eine Neuaufstellung der Gremien geben.
„Dass es einzelne geben wird, die unglücklich sind, verstehe ich zu hundert Prozent“, meinte Kurz zu den Reformvorhaben. So erwarte er etwa Widerstand von Kassenfunktionären. Die Leistungen der Kassen sollen jedenfalls vereinheitlicht werden. Und Unfallkrankenhäuser nicht aufgelöst werden, wie Strache erneut betonte.
Ebenfalls vor dem Sommer will man die Themen Verwaltungsreform und Deregulierung angehen. Manche Berichts- und Meldepflichten sollen fallen, totes Recht beseitigt und die Überfüllung von EU-Recht hinterfragt werden. Nach einer großen Staats- und Verwaltungsreform klingt das nicht. Kompetenzbereinigungen zwischen Bund und Ländern, die im Interesse aller liegen, solle es jedoch geben, sagte Kurz.
Getrübt wird das Bild der einheitlichen Regierungslinie durch die Äußerungen von FPÖ-Vertretern über den ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros. FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus hatte im „Presse“-Interview erklärt, Soros sei einer der möglichen Akteure für Massenmigration nach Europa.
Solche Aussagen lehne er klar ab, sagte Kurz am Dienstag zu den Soros-kritischen Behauptungen von Gudenus und des ungarischen Premiers, Viktor Orbán. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache verteidigte seinen Parteifreund hingegen. Es gehe um sachliche Kritik an Soros „abseits jeder Konfession“, meinte Strache und wies damit auch den Vorwurf des Antisemitismus zurück.
Verkehrsminister Norbert Hofer verteidigte ebenfalls Gudenus und rechtfertigte auch seine eigenen Aussagen aus dem Vorjahr („Soros steuert mit Sicherheit einiges auf der Welt“): „Wenn mich jemand kritisiert, dann ist es keine Kritik an der evangelischen Kirche, ich bin evangelisch. Wenn jemand Soros kritisiert, dann ist das nicht automatisch eine antisemitische Haltung.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2018)