Franzobel-Stück: Der gespaltene Hans Moser

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Franzobel(c) EPA (Harald Schneider)
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Der Dichter Franzobel hat für die Josefstadt ein Stück über den Volksschauspieler geschrieben. Ein Gespräch über das österreichische Phänomen Hans Moser vor der Uraufführung am Donnerstag.

In Ihrem neuen Stück „Moser oder Die Passion des Wochenend-Wohnzimmergottes“ gibt es zwei Protagonisten als Hans Moser – alt und jung. Ist die Vergangenheit so schwer zu bewältigen, dass man diesen Volksschauspieler verdoppeln muss?

Franzobel: Der Kunstgriff hat sich aus der Problematik ergeben, dass alle Schauspieler Angst hatten, den Moser zu spielen. Wenn man ihn verdoppelt, umgeht man das. Außerdem könnte es gespaltene Persönlichkeiten mit zwei verschiedenen Ausformungen einer Person zu zwei verschiedenen Lebensphasen im Himmel wirklich geben. Wer weiß, vielleicht ist man dort sogar zu dritt oder zu hundert?

Sartre nennt das die Hölle, die wir selbst sind. Die sich im Leben hassten, bilden im Jenseits eine furchtbare geschlossene Gesellschaft. Hans Mosers Filmen ist man in Österreich jahrzehntelang an Samstagnachmittagen auch nicht entkommen. Die Tanten haben das immer geschaut.

Stimmt. Und Moser wird nach wie vor im Fernsehen rauf- und runtergebetet – wie ein Rosenkranz. In meiner Jugend war ich gar kein Moser-Fan, ich mochte lieber Chaplin, Laurel und Hardy. Dass auch Mosers Filme großartig sind, habe ich erst später entdeckt. Er hatte einen französischen Namen, Jean Julier, und seine Spielweise stammte von jüdischen Kabarettisten der Zwischenkriegszeit, dennoch gilt er als das Sinnbild des österreichischen Schauspielers, des Österreichers schlechthin. Dabei ist in dieser Moser-Figur viel Gespaltenheit.

Jedenfalls waren seine Komödien um Klassen besser als die deutschen Komödien.

Heinz Erhardt hat auch Qualitäten, schrieb tolle Ulk-Gedichte. Aber gut, das ist deutscher Humor.

Hat Chaplin Ihre Komödien beeinflusst?

Wichtiger waren mir Dick und Doof und Donald Duck. Ihr Kampf mit der Materie fasziniert mich nach wie vor, wenn sie zum Beispiel ein Klavier liefern sollen, daran aber scheitern, kracht am Ende meist das ganze Haus, wenn nicht gar die ganze Stadt zusammen. Das ist ein groteskes Spiel mit dem Fatalen der eigenen Existenz.

Die bloße Ankündigung, dass Sie ein Drama über Moser schreiben, über seine Zeit im Dritten Reich, hat zu erregten Reaktionen geführt, als noch niemand den Text kannte. Worum geht es darin?

Wie es zu der Aufregung kam, ist mir unverständlich. Vor drei Jahren, auf die erste Ankündigung der Josefstadt, gab es wenig Echo. Die Erregung hat Georg Marcus mit einem „Kurier“-Artikel, der einen leichten Hautgout hatte, provoziert. Es gibt hierzulande noch immer massive Angst, dass man in die Schleimspur des Dritten Reiches gerät. Es geht in meinem Stück um Haltung, um Courage, darum, wie man sich als Künstler in einem solchen repressiven System verhält. Mich interessiert auch, was man machen würde, falls FPÖ-Chef H.C. Strache an die Macht käme. Der Figur Moser habe ich viel Sympathie entgegengebracht. Von einem Vom-Sockel-Stoßen kann also gar keine Rede sein.

Wie begegnen Ihnen die Leute auf der Straße? Gibt es Feindseligkeiten?

Leibliche Bedrohung gibt es keine, nur vereinzelt Beschimpfungsbriefe oder hasstriefende Mails. Dafür genügt die Ankündigung, ein Stück über Moser im Dritten Reich zu schreiben, oder die Idee, mit Arigona Zogaj zum Opernball zu gehen. Aber die Aggression hält sich in Grenzen. Auf der Straße begegnen mir die Menschen durchwegs freundlich. Nicht selten will halt wer ein Autogramm oder ein Foto. Und ich bin ein guter Latsch und mache alles mit.

Eine Figur im Stück heißt Paul. Hörbiger?

Alle meine Frauen haben gesagt, ich schaue dem Paul Hörbiger ähnlich. Er ist mir im Gegensatz zu anderen in seiner Familie auch uneingeschränkt sympathisch. Er war im Widerstand aktiver als Moser, obwohl er auch in Propagandafilmen mitwirkte. Das hat Moser nicht gemacht. In meinem Drama ist Paul ein notwendiger Gegenspieler.

Wie haben Sie sich auf das Stück in der Josefstadt vorbereitet?

Ich habe mir die verfügbaren Filme angesehen, Biografien gelesen – da gibt es nur wenig – und den „Mephisto“ von Klaus Mann, der dieselbe Problematik behandelt. Im Stück geht es vor allem um die Frage, wie sehr sich Künstler verbiegen müssen, um zu überleben. Das bezieht sich auch auf die Gegenwart. Wie entzieht man sich der Instrumentalisierung? Heute fallen mir Leute ein wie Marianne Fritz, die ließ sich keinen Millimeter verbiegen, oder Helmuth Seethaler, der ist ganz gerade. Das gelang Leuten wie Fussenegger, Tumler, Nabl oder Bronnen nicht. Die waren zwar keine Nazis, ließen sich aber einspannen. Wann soll man auswandern? Moser war mit 58 Jahren, als Hitler 1938 Österreich okkupierte, nicht mehr verpflanzbar.

Kann sich ein Dramatiker überhaupt komplett dem Verbiegen entziehen?

Man ist vom Theater abhängig, muss sich manchmal beugen. Kleinstkompromisse sind unvermeidlich. Die Frage ist: Wie weit geht man? Ab wann ist man nicht mehr man selbst, sondern nur noch das Produkt von Sachzwängen?

Wenn man heute erfolgreich sein will, ist man am besten eine Siebzehnjährige, die so wie Helene Hegemann mit „Axolotl Roadkill“ einen postmodernen Roman plagiiert. Ist das nicht auch perfekte Anpassung an ein System auf einer Metaebene?

Es gibt zwei Schreibhaltungen. Die eine ist kompromisslos, stur, bleibt nur im Text, schielt auf keinen Markt, die zweite denkt strategisch, sucht nach Distributionsmöglichkeiten. Ich kenne natürlich beide.

Der Dramatiker kann zusehen, wie das Publikum reagiert. Machen Sie das?

Unbedingt, man will ja sehen, was funktioniert und was nicht. Lieblingsstück habe ich aber keines. Ich vergesse auch alles, bin immer ganz in dem Text, an dem ich gerade arbeite.

Sie schreiben viel. Ist das eine Tugend?

Der Vorwurf des Vielschreibens kommt immer wieder. Für meine übermütige, sprachverliebte Schreibe ist es wichtig, mir einen Freiraum zu schaffen. Wenn man wenig schreibt, bekommt jedes Wort ungeheuer viel Bedeutung. So stelle ich mir die Situation eines Christoph Ransmayr, den ich sehr schätze, vor. Jeder Beistrich wird heilig. Aber das ist eine persönliche Disposition. Meine besteht darin, dass ich den Text nicht ganz so wichtig nehme. Je weniger ich mir erwarte, desto besser wird der Text.

Dann muss Ihnen doch ein Vielschreiber wie Nestroy sympathisch sein.

Ja, dem fühle ich mich verwandt. Ich brauche den Termindruck. Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ich mehr Zeit hätte. Wenn ich zum Beispiel einmal schneller fertig werde als geplant und plötzlich etwas Zeit habe, tue ich meist gar nichts, schaue mir Olympische Spiele im Fernsehen an, tauche ab in virtuelle Welten, spiele mit der Xbox meines Sohnes.

Mischen Sie sich in die Regie ein?

Nein. Ich bin höchstens bei der Leseprobe dabei, um zu sehen, ob der Rhythmus stimmt. Dann gehe ich erst wieder zu den Durchläufen. Abstriche muss man hinnehmen. Es geht ja nicht um das Stück, sondern um den Abend– und der kann nur gelingen, wenn sich alle kreativ einbringen. Es gibt frühe Schreibphasen, in denen man bei einem Bier herumblödelt, das Stück entwickelt. Wenn sich das auf den Proben fortsetzt, ist es toll. Ich glaube, dass Goldoni, Molière, Shakespeare so gearbeitet haben. In Hollywood werden die guten Sachen von Autorenteams geschaffen. Ich bin mein eigenes Team, ein Schwamm, der alles aufsaugt.

Gibt es Eigenheiten Mosers, die Sie nerven? Das Nuscheln? Der gläserne Blick?

Ich kann mir schon vorstellen, dass man durch eine Überdosis Moser eine derartige Sättigung erreicht, dass sie sich als Folter einsetzen ließe. Aber davon bin ich noch weit entfernt.

Welchen Film schätzen Sie, welche Dialoge?

Jetzt denke ich gerade an „Opernball“. Moser hat abgesehen vom bekannten „Wienehman man denn?“ wenig erinnerliche Dialoge. Er hat alles zerkaut, zerbissen, ausgespuckt, Typen gespielt, die es nicht mehr gibt. Er hat den grantelnden Dienstmännern, Hausmeistern, Kellnern ein Denkmal gesetzt.

Otto Schenk käme ihm wohl am nächsten.

An den habe ich auch gedacht, aber Steinhauer/Teichtmeister machen das auch ganz wunderbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2010)

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