Bill Cosbys Fall: „America's Dad“ und seine Doppelmoral

Fast blind, schwerhörig und gebrechlich: Bill Cosby zeigte sich im Lauf des Prozesses uneinsichtig.
Fast blind, schwerhörig und gebrechlich: Bill Cosby zeigte sich im Lauf des Prozesses uneinsichtig. (c) APA/AFP/DOMINICK REUTER
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Bill Cosby spielte sich mit seiner TV-Serie in die Herzen des afroamerikanischen Publikums. Er avancierte zum Idol – und zu einem Wegbereiter Barack Obamas. Umso größer ist nach dem Missbrauchsprozess die Enttäuschung unter den Fans.

An der von knallbunten Graffiti geschmückten Seitenfassade von Ben's Chili Bowl in Washington hing das Konterfei Bill Cosbys jahrelang neben dem Barack Obamas. Der Fastfood-Laden an der U-Street, bekannt für seine pikanten Hotdogs und Burger, ist eine Institution in der Hauptstadt – insbesondere für die afroamerikanische Gemeinde. Wer hier auf einem Wandgemälde prangt, ist zur Ikone aufgestiegen. Es zeigt den Stellenwert, den der Komiker, Entertainer und Schauspieler Cosby innerhalb der schwarzen Community genoss – bis zu seinem Absturz als Galionsfigur im Zuge eines Missbrauchsprozesses, der im zweiten Anlauf mit seiner Verurteilung endete.

Vielen gilt Cosby als ein Wegbereiter Obamas. Als „America's Dad“ hat er den schwarzen Familienvater populär und massentauglich gemacht. Als Cliff Huxtable, Gynäkologe, Spaßvogel in schrillen Pullovern und Vater von fünf Kindern in der TV-Erfolgsserie „Cosby Show“, hatte sich Cosby in den 1980er- und 1990er-Jahren in die Herzen des afroamerikanischen Publikums gespielt. Er wurde zum Idol der aufstrebenden schwarzen Mittelklasse, als Drehbuchautor und studierter Pädagoge war er deren Inkarnation. Die Huxtables, die in einem Brown-stone-Haus in Brooklyn lebten, vermittelten überdeutlich eine Moral: Familienwerte, verquickt mit Ehrgeiz, Coolness und Humor.

Cosby verkörperte die Figur so glaubwürdig, dass für viele Fans Darsteller und Rolle eins wurden – zumal er selbst fünf Kinder hatte. Obendrein trat Bill Cosby im echten Leben, in Talkshows und als Motivationsredner, als Mahner und Moralapostel auf. Er schrieb Bestseller wie „Vaterschaft“, die sich mit dem tristen Status quo vieler afroamerikanischer Familien befassten. Als Prediger für die Kraft des Positiven war er ein Vorläufer der Talkshow-Queen Oprah Winfrey.

Umso konsternierter reagierten viele Fans, als in den vergangenen Jahren das Doppelleben Cosbys ans Licht kam. Auf dem Cover des Magazins „New York“ ließen sich vor drei Jahren drei Dutzend Missbrauchsopfer ablichten, die ihn der Nötigung und der Vergewaltigung bezichtigten. In der „Washington Post“ bekannte die Schauspielerin Barbara Bowman: „Dieser Mann hat mich unter Drogen gesetzt und vergewaltigt. Er ist wie ein Monster über mich hergefallen.“

Sie schilderte ein Muster, dem der Star über vier Jahrzehnte treu blieb. Er erschlich sich das Vertrauen der Frauen, gerierte sich oft als Mentor, der versprach, ihre Karrieren zu befördern. Anschließend verabreichte er ihnen einen Cocktail aus Alkohol und drei blauen Pillen, um sie gefügig zu machen und sich an ihnen zu vergehen. Lange kam er mit der Methode davon, viele der insgesamt rund 60 Fälle sind mittlerweile verjährt.

#MeToo veränderte die USA

In einem Zivilrechtsprozess einigte sich Cosby vor zwölf Jahren mit der lesbischen Basketballtrainerin Andrea Constand, die er 2004 in seine Villa gelockt hatte, auf eine außergerichtliche Einigung und eine Entschädigung von 3,4 Millionen Dollar. Als sie im Vorjahr ein Strafverfahren gegen ihn anstrengte, gingen die Geschworenen ohne Entscheidung auseinander. Sie konnten sich nicht auf ein einvernehmliches Urteil einigen. Als die Staatsanwaltschaft den Prozess jetzt noch einmal aufrollte, lautete der Spruch in allen drei Anklagepunkten: schuldig. Zwischen Juni 2017 und April 2018 lagen die Affäre um den Filmmogul Harvey Weinstein und die Kampagne #MeToo, die Hollywood und die USA veränderten.

Bill Cosby, gebrechlich und fast blind, tobte. Gegen eine Kaution von einer Million Dollar ist er auf freiem Fuß. Dem 80-Jährigen droht eine Höchststrafe von 30 Jahren. Eine Strafe hat ihn allerdings bereits ereilt – der Sturz aus dem Olymp der TV-Götter. Die Serien sind ins Nachtprogramm verbannt, viele Projekte wurden kurzerhand gestrichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2018)

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