Man sollte sich von den Friedenssignalen auf der koreanischen Halbinsel nicht täuschen lassen. Die Konzessionsbereitschaft in Pjöngjang hat Grenzen.
Nordkoreas Diktator, Kim Jong-un, kann zufrieden sein mit dem ersten Akt seiner großen Friedensshow. Die ganze Welt lobte ihn und Südkoreas Präsident, Moon Jae-in, für die schönen Worte und Gesten, die sie bei ihrem historischen Treffen an der Demarkationslinie in Panmunjom gefunden hatten. In ihrer gemeinsamen Erklärung kochten sie nicht nur alte uneingelöste Versprechen auf, sondern kündigten an, sich bis zum Ende des Jahres gemeinsam mit den USA und China um einen Friedensvertrag zu bemühen. Das wäre tatsächlich ein Meilenstein. Denn 65 Jahre nach Ende des blutigen Korea-Krieges, der von 1950 bis 1953 geschätzten 4,5 Millionen das Leben gekostet hat, gilt bisher nur ein Waffenstillstand.
Um den Boden dafür zu bereiten, ist eine ganze Reihe konkreter Tauwettersignale vorgesehen: Die Propagandalautsprecher an der Waffenstillstandslinie sollen ausgeschaltet bleiben; zu den Asien-Spielen ab Mitte August in Jakarta wollen Nord- und Südkorea gemeinsame Sportmannschaften entsenden. Sogar die Fischer dürfen sich über die angestrebte „maritime Friedenszone“ freuen. Ein Treffen soll das nächste jagen. Minister, Militärs und einfache Familien, sie alle sollen in rascher Abfolge zusammenkommen. Und im Herbst schon wollen einander Kim und Moon wieder in die Augen schauen, diesmal in der nordkoreanischen Hauptstadt, Pjöngjang.
US-Präsident Trump, der Kim noch im Mai oder Juni die Hand schütteln soll, ist in ein dichtes innerkoreanisches Entspannungsnetz eingewoben. Niemand kann etwas gegen Friedensgespräche auf der koreanischen Halbinsel haben. Es ist auf jeden Fall hilfreich, einen direkten Draht zu Nordkoreas Machthaber aufzubauen. Das minimiert das Kriegsrisiko und ermöglicht es, sich ein genaueres Bild von Kims Absichten zu machen.
Doch man sollte die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Das lehrt allein die Erfahrung vergangener Dialogenttäuschungen. Kim bekannte sich nun zwar in Panmunjom zu dem Ziel, „durch eine komplette Denuklearisierung eine nuklearfreie koreanische Halbinsel“ zu schaffen. Doch er dürfte darunter etwas anderes verstehen als sein künftiger Verhandlungspartner in Washington. Bei einer Rede vor dem Zentralkomitee seiner Arbeiterpartei wurde Kim etwas deutlicher. Demnach sei Nordkorea bereit, einen Beitrag zu einer Welt ohne Atomwaffen zu leisten. Das heißt: Eine nukleare Abrüstung kann sich das Regime erst vorstellen, wenn auch die restlichen Atommächte die Waffen niederlegen. Das aber wird kaum geschehen.
Es wäre naiv zu glauben, dass sich Kim Jong-un seine Atombomben abverhandeln lässt. Die Massenvernichtungswaffen bilden eine unverzichtbare Säule seiner Herrschaft, eine Lebensversicherung gegen einen Regimewechsel und das einzige Instrument, mit dem sich Zugeständnisse erpressen lassen. Das Geschäftsmodell hat in der Vergangenheit schon mehrmals funktioniert. Das Regime versprach, sein Atomprogramm einzufrieren, sicherte sich im Gegenzug Energie- und Lebensmittelhilfen und baute im Verborgenen munter weiter an der Bombe.
Auch jetzt will Kim vermutlich vor allem ökonomische Konzessionen herausschinden und eine Erleichterung der Sanktionen erreichen. Seit sich die Schutzmacht China den Strafmaßnahmen konsequenter als bisher angeschlossen hat, sind sie schmerzhafter denn je. Kim muss sie abstreifen, wenn er sein Versprechen einlösen und die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben will.
Das nordkoreanische Verhandlungskalkül liegt auf der Hand. Kim wird höchstens ein Einfrieren seines Atom- und Raketenprogramms anbieten, für konkrete nukleare Abrüstungsschritte aber unerfüllbare Bedingungen stellen. Es wird sich weisen, ob Trump auf das nordkoreanische Offert eingeht. Sollten die Verhandlungen jedoch platzen, droht die Situation danach zu eskalieren. Die Welt erlebte schon einmal einen solchen Backlash: nach dem Scheitern der schlecht vorbereiteten Nahost-Friedensverhandlungen 2000 in Camp David. Im Fall Nordkoreas könnten die Folgen verheerend sein.
E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2018)