Der erste Mai in Opposition: It's the migration, stupid!

Die Presse
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Solang die SPÖ keine Antwort in der Migrationsfrage findet, können ÖVP und FPÖ sehr entspannt sein. Wiens SPÖ-Chef hat das immerhin schon überrissen.

Eine „Moskauer Pyramide“ würden ÖVP und FPÖ bilden, „zwei B'soffene, die sich gegenseitig abstützen“, meinte der SPÖ-Vorsitzende vor Kurzem. Das passt nicht zum Stil eines ehemaligen Bundeskanzlers. Und zu Christian Kern selbst eigentlich auch nicht. Zumal auch die Pointe nicht wirklich zündet.

Die Opposition – und vor allem der Ruf der Genossen und Sympathisanten, endlich kantige Oppositionspolitik zu betreiben und das Feld nicht den kleinen Neos zu überlassen – führt anscheinend dazu, dass man glaubt, Opposition bestehe zuvorderst aus markigen Sagern. So wie Heinz-Christian Strache eben Oppositionspolitik gemacht hat. Eine SPÖ, die im Stil jetzt die Freiheitlichen kopiert? Muss sie selbst wissen. Es ist heuer jedenfalls Christian Kerns erster 1. Mai als Oppositionsführer. Man wird sehen, ob die große Bühne vor den vielen Genossen dann wieder zu verbalpopulistischen Versuchungen führt.

Wobei das nicht das große Problem der SPÖ, ja der europäischen Sozialdemokratie in ihrer Gesamtheit, ist. Nach einer langen Serie von Niederlagen ging zuletzt auch Italien verloren. Die Ursachen sind national sicher unterschiedliche, eine gemeinsame Klammer gibt es dennoch: It's the migration, stupid! Im Herbst steht diesbezüglich dann eines der letzten sozialdemokratisch regierten Länder Europas – noch dazu jenes mit der traditionell offensten Zuwanderungspolitik – auf dem Prüfstand: Schweden.

Solang die SPÖ in der Frage der Zuwanderung keine glaubwürdige, auch restriktive Position findet, die über Lippenbekenntnisse kurz vor dem Wahltag hinausgeht, so lang werden ÖVP und FPÖ „Einschnitte in den Sozialstaat“ (um die Oppositionsdiktion zu verwenden) vornehmen, am rechten Rand anstreifen oder Fantasieuniformen basteln können, so viel sie wollen – sie werden dennoch die Wahl gewinnen. Der eine mehr, der andere weniger mutmaßlich.

Das Thema geht nicht weg, auch wenn man die Augen zumacht. Und es ist auch keines, das ÖVP und FPÖ erfunden hätten, um Stimmung zu machen, wie auf Harmonie bedachte Verfechter der multikulturellen Gesellschaft gern insinuieren. Es ist da. Vor allem in Bezug auf die muslimische Zuwanderung.

Häupl und das Kopftuch

Der neue Wiener SPÖ-Chef, Michael Ludwig, mehr Pragmatiker als Ideologe, hat das schon überrissen. Sein noch amtierender Vorgänger ist da noch in alten Mustern gefangen: Mädchen mit Kopftuch seien heute „eher eine Bereicherung des Stadtbilds“, meinte Michael Häupl am Wochenende im „Standard“. So sieht das Recep Tayyip Erdoğan vermutlich auch. Zudem fügte Häupl noch an, dass auch seine Mutter seinerzeit Kopftuch getragen habe, wenn sie zum Greißler gegangen sei. Dass die SPÖ jetzt zurück in die Fünfzigerjahre will, wäre dann doch neu.

Glaubwürdige Position heißt: eine stringente Linie; dass man den Bürgern am Stammtisch nicht das eine erzählt und den Intellektuellen im Bobo-Bezirk was anderes. Der Wähler merkt das. So war es ja auch im vergangenen Nationalratswahlkampf.

Michael Ludwig wurde für seine konsequente Linie von eigenen Genossen wie dem angeschlossenen linksliberalen Opinion-Leader-Segment auch geprügelt. Die SPÖ-interne-Wahl jedoch hat er dann deutlich gewonnen.

Und bevor jetzt jemand einwendet: Es gibt aber schon auch noch andere Themen! Ja, eh. Aber ein wirkliches Alternativkonzept zur Regierung hat die SPÖ bisher auch nicht vorgelegt. Es sei denn, die Kritik an allem und jedem, was die Bundesregierung tut, ist das Konzept. Das genaue Gegenteil als Gegenmodell also. Das sieht dann – Stand jetzt – allerdings auch sehr nach Hinterherhecheln aus.

Wenn es gilt, ein Haar in der türkis-blauen Suppe zu finden, dann sind führende Sozialdemokraten auf Twitter, dem neuen Oppositionskanal, derzeit kaum zu bremsen. Es wird seinen Grund haben, dass sich Michael Ludwig hiervon fernhält. Möglicherweise steckt er seine Energie in andere, erfolgversprechendere Aktivitäten.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2018)

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