1. Mai: Häupls Abschied, Ludwigs Start

SPÖ-Chef Christian Kern (l.) trat erstmals als Oppositionspolitiker auf, Michael Ludwig (2. v. l.) sprach als Bürgermeister in spe, Michael Häupl verabschiedete sich.
SPÖ-Chef Christian Kern (l.) trat erstmals als Oppositionspolitiker auf, Michael Ludwig (2. v. l.) sprach als Bürgermeister in spe, Michael Häupl verabschiedete sich.(c) Clemens Fabry
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Die SPÖ feiert den Tag der Arbeit seit Langem wieder in der Opposition. Und die Partei ist bemüht, sich auf den Außenfeind zu konzentrieren. Jetzt auch in neuer Besetzung.

Wien. Michael Häupl hat es zuvor in seiner Rede selbst gesagt: „Ihr wisst ja, dass ich Redundanz nicht schätze.“ Offensichtlich auch dann nicht, wenn sie einige dutzend Genossen von ihm fordern: „Zugabe, Zugabe!“, rufen sie dem Wiener Bürgermeister zu. „Hallo Freunde, ist ja nett“, antwortet er. „Ich bin aber kein Kabarettist, auch wenn es manchmal so ausschaut. Was ich sicher nicht bin, ist ein Popsänger. Also das mit der Zugabe, das funktioniert nicht.“

Und zwar weder hier, auf der Bühne der SPÖ-Kundgebung zum Tag der Arbeit am Wiener Rathausplatz. Noch wenige Meter dahinter, im Wiener Rathaus. Nach 24 Jahren verabschiedet sich Häupl offiziell von der Wiener SPÖ-Spitze: In wenigen Wochen übergibt Häupl sein Amt an jenen Mann, der ihm an diesem Dienstagmittag gerade einen Strauß roter Nelken in die Hand drückt – Michael Ludwig.

Vielleicht ist daher auch eine Portion Nostalgie daran beteiligt, dass – laut SPÖ – so viele Menschen wie schon lange nicht mehr die Kundgebung besuchten, immerhin 120.000. Das führt dazu, dass sogar Häupl selbst ein wenig emotional wurde: „Ich bin bei euch, und ihr seid in meinem Herzen“, rief er der Menge zu.

Dann erholt er sich allerdings schnell wieder, und ruft den Zuhörern zu – als Aufmunterung oder als Drohung, je nach Standpunkt: „Ich verabschiede mich nicht.“ Er wolle zwar kein Balkon-Muppet werden, „aber niemand kann von mir verlangen, dass ich mich von der Politik vollkommen zurückziehe“.

Es weht ein „sehr kalter Wind“

Er werde sich auch in Zukunft für die wichtigsten Prinzipien einsetzen. Und die wären? „Die Gesellschaft zu einen, nicht zu spalten.“ Derzeit wehe ein „sehr kalter Wind“ durch Wien, und zwar aus Richtung Ballhausplatz. Als SPÖ müsse man dagegen ankämpfen. Es scheint, als würde Häupl in erster Linie zwar die Regierung mahnen, aber auch seine eigene Partei. Die neuen, alten Feinde heißen FPÖ und ÖVP, nicht die eigenen Genossen. Darauf sollte sich die Partei in Zukunft konzentrieren.

Vergangenes Jahr noch Kanzler

Das war nicht immer so, das weiß Häupl genau. Vor zwei Jahren, wieder hier am Wiener Ballhausplatz, musste er die Genossen immerhin mehrmals um Ruhe bitten: Der ehemalige Bundeskanzler Werner Faymann war während seiner Rede ausgebuht worden. Ein Jahr später, wieder am 1. Mai, ergriff Christian Kern als Bundeskanzler das Wort. Die SPÖ schöpfte Hoffnung, es könne nach der Wahl nun doch wieder ein Sieg gefeiert werden. Und heute? Heute wird Kern als „unser SPÖ-Klubobmann“ ans Rednerpult gebeten. Das schmerzt nicht nur ihn, hier am Rathausplatz.

Aber Kern ist bemüht, es sich nicht anmerken zu lassen – und Türkis-Blau als Feind zu skizzieren. Er versucht sich nun als Oppositionsführer. Damit lässt sich die kritische Basis gewinnen, und auch die höheren Funktionäre. Unter anderem wolle die Regierung den 12-Stunden-Tag einführen, mahnt also Kern: „Ich bin im Bundeskanzleramt gesessen, und jeden Tag ist ein ÖVP-Politiker gekommen und wollte das umsetzen.“ Er habe das verhindert, nun versuche es die Volkspartei eben mit der FPÖ. Doch zu welchem Preis?

In der Flüchtlingskrise werde ein Jude, also der US-Investor George Soros, als Drahtzieher bezeichnet: „Wie schändlich ist das?“, ruft Kern in die Menge. Antisemitismus sei immer der erste Zivilisationsbruch: „Ein Angriff auf unsere jüdischen Mitbürger ist ein Angriff auf uns alle.“ Ob dieser von rechtsradikaler oder islamistischer Seite komme, sei dabei egal. „Wir müssen der Fratze des Antisemitismus die Stirn bieten.“ Dafür gibt es Jubel und Applaus.

Die Regierung wolle außerdem die Sanktionen auf Schwarzarbeit senken: „Künftig wird wohl Schulschwänzen stärker bestraft als Großsozialbetrug!“ Kern genießt es sichtlich, im Rampenlicht zu stehen. Und nach den schwierigen vergangenen Monaten wieder, zumindest in dieser Sache, als Partei völlig geeint zu sein.

Dann kommt er zur SPÖ: Das „offene, Gesellschaftsmodell“, für das die Partei stehe, werde er „mit allen Zähnen“ verteidigen. „Sozialdemokratische Ideen sind immer der Kitt in der Gesellschaft gewesen“. Wenn er auf die Menge am Rathausplatz blicke, „sehe ich das Bild eines Ozeans. Mit vielen einzelnen Tropfen, die es ausmachen“. Viele würden das füreinander Dasein als Nächstenliebe bezeichnen. „Bei uns heißt es Solidarität.“

„Nicht nur dagegen sein“

Weniger auf Oppositionskurs geht Michael Ludwig, hörbar nervös bei seiner ersten Rede. Das hat auch taktische Gründe, immerhin muss er als neuer Bürgermeister regieren – mit wem er es in Zukunft machen wird, ist dabei noch offen. Also kritisiert er immer wieder die Regierung, wandelt den ÖVP-Wahlkampfslogan in „Zeit für Solidarität um“, ruft dann in Richtung Ballhausplatz: „Wir werden uns wehren, wenn es gegen die Interessen der Wiener Bevölkerung geht – lasst unser Wien in Ruhe!“ Dann meint er aber auch: „Es hilft nicht, nur dagegen zu sein.“ Die SPÖ, das seien alle Genossen – man müsse zusammenhalten, auch wenn man als Partei auch unpopuläre Maßnahmen beschließe.

Ähnlich wie Häupl ruft auch Ludwig das wohl den internen Kritikern zu. Die stehen ohnehin in Hörweite, wie Vizebürgermeisterin Renate Brauner, die eine Brandrede gegen die Regierung hielt. Oder Klubobmann Andreas Schieder, der gegen ihn als Bürgermeister-Kandidaten angetreten war. Dann beendet Ludwig seine Rede: „Freundschaft!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2018)

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