Armenien: Oppositionsführer Paschinjan ruft Generalstreik aus

Ausnahmsweise einmal im dunklen Anzug: Oppositionspolitiker Nikol Paschinjan stellte sich gestern den Fragen der Abgeordneten.
Ausnahmsweise einmal im dunklen Anzug: Oppositionspolitiker Nikol Paschinjan stellte sich gestern den Fragen der Abgeordneten. (c) APA/AFP/KAREN MINASYAN
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Nach der geplatzten Wahl im Parlament kündigt Oppositionspolitiker Nikol Paschinjan eine "Totalblockade" des Landes an. Die Krise rund um Ex-Premier Sargsjan und Massendemonstrationen lähmen das Land seit rund drei Wochen.

Wien/Eriwan. Die politische Krise in Armenien geht in eine neue Runde. Am Dienstag scheiterte im Parlament vorerst die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten. Oppositionsführer Nikol Paschinjan sprach von einer „Kriegserklärung an das Volk“. Er kündigte für Mittwoch einen Generalstreik und eine „Totalblockade“ des Landes an. "Wir werden die Straßen, die Flughäfen, die Metro, die Eisenbahn blockieren, alles was blockiert werden kann", sagte Paschinjan. Er sprach von zivilem Ungehorsam und einer gewaltlosen Revolte. Am Mittwochvormittag folgten Taten: Aktivisten sperrten mehrere Straßen ab und blockierten die Eingänge zu Ministerien. Die Polizei forderte die Protestierenden auf zu gehen, setzte aber keine Gewalt ein. Am 8. Mai soll nun der nächste Wahl-Versuch stattfinden, teilte der Parlamentschef des Landes im Südkaukasus, Ara Babloian, am Mittwoch in der Hauptstadt Eriwan mit. 

Dabei war am Dienstag alles vorbereitet. Paschinjan hatte vorsorglich seine bekannte Militärkluft abgelegt und einen dunklen Anzug angezogen. Der 42-jährige Anführer der Protestbewegung trat nicht vor den Toren der Institutionen der Macht auf, sondern in ihnen. Auf der Rednerbühne des Parlaments stellte er sich am Dienstag den Fragen der Abgeordneten. Er war einziger Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten, der an diesem Tag gewählt werden sollte. Die Sitzung dauerte über acht Stunden. Am Ende versagten die Abgeordneten der regierenden Republikanischen Partei Paschinjan ihre Stimmen. Für Paschinjan stimmten nur 45 Abgeordnete, 56 sprachen sich gegen ihn aus. Die Republikaner selbst hatten – unter großem politischen Druck der Protestbewegung stehend – keinen Kandidaten nominiert.

Vor dem Parlament in Eriwan harrten den ganzen Dienstag tausende von Paschinjans Unterstützern aus. Der Politiker hatte sie am Morgen auf die Straße gerufen, nachdem er vor einem Komplott der bisher regierenden Republikaner gewarnt hatte. Bei einem nächtlichen Treffen hätten die Republikaner unter Vorsitz von Sersch Sargsjan entschieden, die Wahl zu vereiteln, hatte Paschinjan in einer Videobotschaft erklärt.

Warnung vor "politischem Tsunami"

In seiner Rede vor dem Plenum warnte Paschinjan die Abgeordneten vor einem „politischen Tsunami“, sollten sie dem Druck der Demonstranten nicht entsprechen. Die Republikanische Partei solle nicht die „Nachsicht des Volkes mit Schwäche verwechseln“, sagte der Oppositionsführer, der selbst die kleine liberale Partei Elk (Ausweg) anführt. Wie nun ein Ausweg aus der Krise gefunden werden könnte, war am Dienstagabend unklar. Es könnte zu weiteren Großkundgebungen kommen.

Der erst kürzlich vom Parlament gewählte Premier und vormalige Präsident Sargsjan war erst vor zehn Tagen unter dem Eindruck von massiven Protesten zurückgetreten. Sein Festhalten an der Macht hatte für Entrüstung gesorgt und war zum Anlass für eine breite Protestbewegung geworden. Doch Sargsjans Republikanische Partei verfügt mit 58 von 103 Abgeordneten noch immer über eine absolute Mehrheit im Parlament. Im Laufe des Dienstags wurden allerdings Zweifel laut, ob die Republikaner tatsächlich den Weg zu einem Machtwechsel ebnen würden. Am späten Nachmittag waren viele Sitzreihen leer.

Neuwahlen versprochen

Die Opposition in dem Kaukasusland erhofft sich von dem angestrebten Machtwechsel eine Beruhigung der Lage nach Wochen der politischen Spannungen, die in Massenprotesten und dem Rücktritt des seit zehn Jahren herrschenden Politikers Sargsjan gipfelten. Oppositionspolitiker Paschinjan verspricht den Kampf gegen Korruption und Armut in Armenien. Zudem will er vorgezogene Neuwahlen.

Als nächster armenischer Premier stünde er noch vor einer weiteren Mammutaufgabe: das gespaltene Land zu einen.

AUF EINEN BLICK

Drei Wochen dauert die politische Krise in Armenien bereits an. Proteste entzündeten sich an der Wahl von Ex-Präsident Sargsjan als Premier – er gilt als Symbol der alten Elite, die mit allen Mitteln an der Macht bleiben will. Gestern wollte das Parlament in Eriwan einen neuen Premier wählen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2018)

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