Die Wirtschaft wächst in der EU weiter stark, doch die Zeichen für einen Konjunkturabschwung mehren sich.
Brüssel. War der Konjunkturhimmel im vergangenen Jahr noch wolkenlos blau, so ziehen heuer und im kommenden Jahr erste Wolken auf. Diese kommen vor allem aus den USA. Ein schnelles Steigen der US-Zinssätze und eine Eskalation des Handelsprotektionismus könnten die wirtschaftliche Großwetterlage negativ beeinflussen, heißt es in der gestern veröffentlichten Frühjahrsprognose der EU-Kommission. Generell stimmen die Zahlen allerdings weiterhin optimistisch.
Nach einem Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent im Euroraum im vergangenen Jahr wird für heuer eine Steigerung von 2,3 Prozent und für 2019 ein Zuwachs von 2,0 Prozent erwartet. Somit verliert die Wirtschaft zwar leicht an Kraft, dennoch ist sie stark genug, um mehr Arbeitsplätze zu generieren und die Arbeitslosigkeit weiter sinken zu lassen. Gleichzeitig nutzen die EU-Länder die gute Konjunktur, um ihre Schuldenstände zu reduzieren, wenn auch in bescheidenem Ausmaß.
Tatsächlich wird im heurigen Jahr erstmals seit dem Beginn der Wirtschafts- und Währungsunion kein einziges Euroland das Maastricht-Defizitkriterium von drei Prozent des BIP verfehlen. Neun der 19 Euroländer schaffen heuer bereits einen Überschuss oder zumindest ein ausgeglichenes Budget. Österreichs Finanzminister, Hartwig Löger, will bekanntlich nächstes Jahr zu diesen Ländern dazustoßen und ebenfalls ein ausgeglichenes Budget vorlegen.
Die gesamtstaatlichen Schulden bleiben hoch. Das Maastricht-Kriterium von maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen sieben Euroländer, 2019 werden es zehn sein. Österreich wird nicht darunter sein, allerdings verringert sich die Bruttoschuld von 78,4 Prozent im Jahr 2017 auf 71,7 Prozent im kommenden Jahr. Im Schnitt liegen die Staatsschulden der Euroländer bei 86,5 Prozent des BIP. Griechenland (177,8 Prozent), Italien (130,7 Prozent) und Portugal (122,5 Prozent) sind die Ausreißer nach oben.
Irland mit größtem Wachstum
Die größten Wachstumsraten erzielen heuer die ost- und südosteuropäischen EU-Länder. Die Slowakei, Slowenien, Ungarn, Polen oder Rumänien haben allesamt ein Wachstum von über vier Prozent. Nur Irland toppt diese Werte mit 5,7 Prozent BIP-Wachstum. Das niedrigste Wachstum weist Noch-EU-Land Großbritannien mit lediglich 1,5 Prozent aus.
Gleichzeitig nähert sich die Teuerungsrate in der EU allmählich der Zielvorgabe von zwei Prozent. In den 28 EU-Ländern wird heuer von einer Inflation von 1,7 Prozent, nächstes Jahr von 1,8 Prozent ausgegangen. In Österreich beträgt sie bereits 2,1 Prozent. Doch der zuletzt stark gestiegene Ölpreis könnte hier einen weiteren Anstieg verursachen. In Ländern wie Rumänien und den baltischen Staaten führt die Arbeitskräfteknappheit zu starken Lohnanstiegen und treibt so die Inflation.
Während in Ländern wie Griechenland (20,1 Prozent), Spanien (15,3) oder Italien (10,8) noch immer sehr hohe Arbeitslosigkeit herrscht, gibt es in Ländern wie Tschechien (2,4), Ungarn (3,7) oder Polen (4,5) bereits einen massiven Arbeitskräftemangel. Besonders dramatisch ist die Situation in Litauen, dort sinkt die Zahl der Erwerbstätigen sogar. Insgesamt befindet sich die Zahl der Erwerbstätigen in den Euroländern auf dem höchsten Stand seit Einführung des Euro.
Auch in Österreich klagen Unternehmen über Arbeitskräftemangel, obwohl bei uns die Arbeitslosenquote von 5,2 Prozent noch immer relativ hoch ist. In Deutschland liegt sie mittlerweile bei 3,6 Prozent. (red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2018)