Präsident Zeman: Auch Tschechien hat Nowitschok in kleinen Mengen hergestellt

APA/AFP/BEN STANSALL
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Ein tschechisches Labor habe im November das hochgefährliche Nervengift produziert, sagt der Staatschef. Das Verteidigungsministerium in Prag bestätigt, dass tschechische ABC-Abwehreinheiten mit dem Kampfstoff geschult wurden.

In Tschechien ist ein Nervengift aus der hochgefährlichen Nowitschok-Klasse nach Angaben der Staatsführung zu Forschungszwecken synthetisiert worden. "Die Menge des hergestellten Gifts war angeblich klein, und es wurde nach den Versuchen vernichtet", sagte Präsident Milos Zeman am Donnerstagabend im Fernsehsender "Barrandov".

Ein Nervengift aus der Nowitschok-Klasse war nach britischen Angaben bei dem Anschlag auf den Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter im englischen Salisbury Anfang März verwendet worden. Zeman zufolge dürfte es sich um den Stoff A-234 gehandelt haben, während in Tschechien an der Substanz A-230 geforscht worden sei.

Das Experiment habe im November stattgefunden, in einem militärischen Forschungsinstitut in Brünn (Brno), der zweitgrößten tschechischen Stadt. "Wir wissen wo, wir wissen wann, also wäre es Heuchelei, so zu tun, als ob nichts geschehen wäre", sagte der 73 Jahre alte Staatschef. Er berief sich dabei auf einen neuen Bericht des tschechischen Militärnachrichtendienstes. Nach Einschätzung von Fachleuten sind nur wenige Labors in der Welt in der Lage, mit derart gefährlichen Nervenkampfstoffen zu arbeiten.

Nur "wenige Mikrogramm"

Das Verteidigungsministerium in Prag bestätigte später Zemans Aussagen. "Der Stoff wird in einem spezialisierten Labor unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und in einem Ausmaß von maximal ein paar Mikrogramm synthetisiert", erklärte das Ministerium am Freitag in einer Aussendung. Die bei dem Anschlag in Großbritannien eingesetzte Menge dürften laut Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) aber "vermutlich in Milligramm ausgedrückt" werden. Zu einer genauen Schätzung sieht sich die OPCW aber nicht in der Lage. Die Identifizierung dieser Stoffe und der Schutz vor ihnen seien Bestandteil der Ausbildung der tschechischen ABC-Einheit, gab das tschechische Verteidigungsministerium an. Nach den Tests seien die Stoffe immer sofort vernichtet worden. Sie wurden nie deponiert, sodass die Wahrscheinlichkeit eines Lecks gleich Null sei, versicherte das Ministerium.

"Zeman ist aktiver Agent des Kreml"

Vor allem rechtsliberale Politiker warfen Staatschef Zeman vor, mit seinen Aussagen dem Kreml zu dienen. So meinte etwa der Chef der Bürgermeisterpartei (STAN), Petr Gazdik: "Wir können Milos Zeman als aktiven Agenten des Kreml betrachten." Laut dem Chef der konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), Petr Fiala, "dient Zeman weder den Interessen der Tschechischen Republik noch der Sicherheit des Landes". ODS-Vizechef Martin Kupka fügte hinzu, im Kreml müsse man "auf unseren Präsidenten wirklich stolz sein". Der Klubobmann der liberalkonservativen TOP 09, Miroslav Kalousek, sagte, die Russen hätten Zeman "für ihre Lügenpropaganda und wir haben ihn für eine permanente Schande". Und der christdemokratische EU-Abgeordnete Tomas Zdechovsky meinte, er "habe das Gefühl, dass Nowitschok an Zeman getestet worden sei".

Präsident gilt als russlandfreundlich

Großbritannien macht Russland für den Anschlag auf Skripal verantwortlich. Das Außenministerium in Moskau wies dies zurück und unterstellte seinerseits Tschechien, Großbritannien, der Slowakei und Schweden, als mögliche Herkunftsländer des verwendeten Kampfstoffs infrage zu kommen. Die Regierung in Prag wies dies bisher vehement zurück. "Die Russen haben alle Grenzen überschritten", sagte beispielsweise Ministerpräsident Andrej Babis von der populistischen ANO-Partei.

Zeman, der im Jänner vom Volk für eine zweite, fünfjährige Amtszeit wiedergewählt wurde, gilt als russlandfreundlich - und liegt damit bisweilen mit der Regierung von Babis über Kreuz. Im November war er im Schwarzmeerkurort Sotschi mit Kremlchef Wladimir Putin zusammengekommen. Einen Monat zuvor hatte er die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland in einer Rede vor dem Europarat als "vollendete Tatsache" bezeichnet.

Die Nowitschok-Gruppe (russisch für Neuling) war in der früheren Sowjetunion entwickelt worden. Tschechien betreibt im südmährischen Vyskov (Wischau) ein NATO-Kompetenzzentrum zur Abwehr von ABC-Waffen, also atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen. Der frühere Warschauer-Pakt-Staat ist seit 1999 Mitglied des transatlantischen Bündnisses.

Die internationale Chemiewaffenkonvention verbietet unter anderem die Entwicklung und den Besitz von Chemiewaffen, schließt aber die Forschung zu Abwehrzwecken nicht aus, solange bestimmte Bedingungen und Meldepflichten erfüllt sind.

(APA/dpa/Reuters)

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