Die Macht der Toten

Welche politische Funktion Tote für die kollektive Identität einer Gesellschaft haben?
Welche politische Funktion Tote für die kollektive Identität einer Gesellschaft haben?(c) REUTERS (Jean-Paul Pelissier)
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Die Körper Verstorbener wurden über Jahrhunderte genutzt, um gesellschaftliche Identität zu untermauern und Kontroversen auszufechten. In Österreich wird erforscht, ob dies auch für prähistorische Zeiten gilt.

„Wir wollen feststellen, ab wann im Gebiet des heutigen Österreichs Manipulationen an Toten stattgefunden haben, die über Bestattungsriten hinausgingen“, erklärt Estella Weiss-Krejci, Leiterin des Projekts „Deploying the Dead“ (Deepdead) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Zusammen mit dem Archäologen Sebastian Becker untersucht sie, welche politische Funktion Tote für die kollektive Identität einer Gesellschaft haben und wie sie bewusst funktionalisiert werden können.

Die beiden Wissenschaftler versammelten in dieser Woche Archäologen, Literaturwissenschaftler und Anthropologen in Wien zur Tagung „Beyond Death“. Thema war der Gebrauch toter Körper und die Wiederverwendung von Begräbnisorten über lange Zeitperioden hinweg. Reliquien und Märtyrer, Trophäen aus menschlichen Überresten, Grabstörungen durch materiell oder ideell motivierte „Grabräuber“ und Massengräber nach Kriegen wurden ebenso diskutiert wie literarische Zugänge zu vor langer Zeit Verstorbenen.

Herzbestattung als Politik

Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit ist die Bestattung von Otto von Habsburg 2011. Der Tote wurde sowohl in Pöcking in Bayern als auch in der Mariazeller Basilika und im Wiener Stephansdom aufgebahrt, bevor sein Körper in der Kapuzinergruft beigesetzt wurde. Das Herz wurde in der Erzabtei Pannonhalma in Ungarn in einer Herzurne bestattet. „Die Urne hat die Form eines Stücks Stacheldraht und spielt auf den Eisernen Vorhang und das Paneuropäische Picknick 1989 bei Sopron an“, berichtet Weiss-Krejci. Sie beschäftigt sich auch intensiv mit historischen Herzbestattungen und sagt: „Auch Herzbestattungen sind Teil einer Körperpolitik. Sie dienten beispielsweise den Habsburgern jahrhundertelang dazu, politische Statements zu setzen und territoriale Ansprüche zu markieren.“

Becker und Weiss-Krejci versuchen im Rahmen des Deepdead-Projektes zu klären, ob sich ähnliche Strategien auch in der Urgeschichte finden. Dazu soll die digitale Erfassung und Analyse von Berichten über prähistorische Fundorte, die vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart verfasst wurden, und die Untersuchung von prähistorischen Knochen und Grabbeigaben beitragen.

Im Zuge von Textanalysen sind auch unterschiedliche Begriffe aufgefallen, die Anhaltspunkte dafür geben, dass sich die Einstellung gegenüber Toten im Lauf der Jahrhunderte verändert hat. So wird der Ausdruck Leichenfeld, mit dem man im 19. Jahrhundert Schlachtfelder und prähistorische Gräberfelder bezeichnete, nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr verwendet. Dies liegt wohl daran, dass damit in der NS-Zeit feindliche Verluste umschrieben wurden.

Weiss-Krejci geht davon aus, dass in der Urgeschichte bestimmte gesellschaftliche Voraussetzungen erfüllt sein mussten, bevor tote Körper gesellschaftspolitische Relevanz annehmen konnten. Die Erhebung eines Anspruchs auf einen Toten setzt vermutlich einen Eigentumsbegriff, Eigentum an Boden und konkurrierende Gesellschaftsgruppen voraus.

Überprüft wird diese Hypothese anhand von Knochen und Artefakten aus Siedlungen und Gräberfeldern im Traisental vom Spätneolithikum bis in die Bronzezeit. Einer dieser Orte ist das niederösterreichische Franzhausen, wo spätestens für die frühe Bronzezeit eine soziale Schichtung nachgewiesen werden kann.

LEXIKON

Die Urgeschichte Österreichs umfasst die Zeit zwischen der ersten Anwesenheit des Menschen in der Altsteinzeit bis zum Einsetzen der durch schriftliche Quellen belegten Geschichte im ersten Jahrtausend v. Chr. In Franzhausen/NÖ wurden Gräber entdeckt, die von der späten Jungsteinzeit bis in die späte Eisenzeit reichen, d. h. im Verlauf von ca. 3000 Jahren angelegt wurden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2018)

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