Donaufestival Krems: Kreuzritter, Stricker und Spaß

Was wollen diese Ankömmlinge? „Trophée“ im Schlosspark Grafenegg.
Was wollen diese Ankömmlinge? „Trophée“ im Schlosspark Grafenegg. CLARA WILDBERGER
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Was bleibt vom Moment? Wie bekommt Zeit ihre Richtung? Die besten Stücke beim Donaufestival wurden dem Thema – „Endlose Gegenwart“ – auf tiefe Weise gerecht. Und ließen plakative Zeitgeistparodien vergessen.

Wir wollen mehr Kunst in der frischen Luft, mehr Wald- und Wiesen-Performances! Dieser naive, aber herzliche Appell zu Beginn dieses Berichts aus Krems und Umgebung verdankt sich „Trophée“, einer der überzeugendsten Aufführungen des heurigen Donaufestivals. Ein Schlagzeug im Grünen. Trommeln, das Singen gestrichenen Metalls, auf das die Vögel zu antworten scheinen. In der Ferne das Schloss Grafenegg. Allmählich fokussiert sich der Blick, man erkennt drei Gestalten in Reifröcken, die Gesichter unter Visieren, die sich allmählich nähern. Wer sind sie?

Was ist das für ein Tier auf ihrem Banner? Was führen sie im Schilde? Sie drehen sich, wiegen sich. Doch dann reißen sie Kreuze aus dem Boden, werfen sie, rammen sie wieder in die Erde, als würden sie Terrain abstecken. Sie rücken vor. Sind es Kreuzritter? Ihre Kreuze zugleich Schwerter? Ist das Feld aus Kreuzen nicht auch ein Kriegerfriedhof?

Gerade als diese Inszenierung eines rätselhaften Advents an Spannung etwas nachzulassen droht, kehren die Ankömmlinge um, verschwinden ebenso allmählich, wie sie gekommen sind. Und man fragt sich: Warum der Rückzug? Wann und wie war der Moment, als sie umgekehrt sind? Man hat ihn versäumt, übersehen.

Wie die Zeit verfliegt

So lässt diese so bildstarke wie feinsinnige Performance des gebürtigen Südafrikaners Rudi van de Merwe sich auch als paradoxer Kommentar zum heurigen Festivalthema – „Endlose Gegenwart“ – lesen: In ihr ist eine entscheidende Gegenwart gar nicht endlos, sondern punktförmig, und gleich verflogen. Ebenfalls mit dem Thema Zeit zu tun hat die ebenfalls großartige Performance „Passing Through Metals“ der israelischen Künstlerin Oreet Ashery.

Sie hat rund 40 Strickerinnen und Stricker aus dem Umkreis von Krems versammelt, jetzt sitzen sie und stricken vor sich hin, ungerührt wie die Parzen, die Geräusche ihrer Nadeln werden elektrisch verstärkt, was nervöses, doch gleichförmiges Prasseln ergibt, zufällig wie die ungerichteten Bewegungen der Moleküle eines Gases. Die gestrickten Bänder werden immer länger, sonst ändert sich nichts: Zeitlosigkeit. Doch viermal greifen die am Rand der Halle postierten Musiker der Postpunk-Band Friends Of Gas kurze rhythmische Figuren auf, die aus dem zufälligen Geprassel aufzutauchen scheinen – und definieren musizierend eine Ordnung, laut und brachial. Sie geben der Zeit eine Richtung, könnte man sagen. Oder erzeugen sie die Zeit erst?

Am Ende strickten die Stricker weiter, als wäre nie etwas geschehen, doch es war dunkel und still. Bemerkenswert lange still – für ein so dichtes, betriebsames Festival. Dunkle Stille, unterbrochen durch Flüstern, prägte auch das Erlebnis im „Blind Cinema“: Kinder beschrieben den vor ihnen sitzenden Festivalbesuchern, die sich die Augen verbunden hatten, über Hörrohre einen Film. Danach konnte man sich austauschen: „Hat dein Kind auch über Superhelden und Galaxien geredet?“ – „Meines nicht. Und was soll denn das heißen: Dein Kind?“ – „War jedenfalls lustig. Hat es den Kindern wohl auch Spaß gemacht?“ – „Sicher.“

Vor allem gezwungen spaßhaft wirkte das aus den Münchner Kammerspielen übernommene Stück „The Re'Search“: Drei überdrehte Selbstdarsteller in der, ach, so hektischen Medienwelt karikieren den Slang der heutigen Jugend, die ja, ach, immer nur mit dem Handy spielt, dauernd englische Wörter verwendet und dümmliche Sätze sagt wie „Hi guys, was geht?“ oder „Was mich gerade total interessiert, ist die dritte Welt.“ Geschickt gesprochen und gespielt, aber ziemlich kabarettistisch und platt.

Ja, so grell ist die Medienwelt

Eine noch grellere und plattere Zeitgeistparodie brachte Barbis Ruder mit „Channeling #likemetoo“. Spätestens als „relationshipstatus = neoliberal“ auf dem Schirm stand, hatte man die Botschaft verstanden: Diese spaßige Medienwelt ist kein Spaß! Achtung: Die wollen euch alle etwas verkaufen oder euch gar kaufen! Auch Ruders aufgesetzt hysterisches Lachen blieb einem nur bis ein paar Minuten nach Ende der Show im Kopf, ja, so schnelllebig ist die moderne Welt.

Dass die Moderne in der Musik einer so emsig wie richtungslos strickenden Retro-Fabrik gewichen ist, weiß Thomas Edlinger, Intendant des Donaufestivals, sehr gut. Wie eine Einladung, darüber zu lächeln und vielleicht mit einer Träne im Auge dazu zu tanzen, wie's die Band Ultravox in den Achtzigerjahren ausdrückte, wirkte das Konzert der Istanbuler Combo Jakuzi: Sie rezykliert die Musik dieses Jahrzehnts in strenger Treue. Oder hörte man hier doch Orientalismen?

Etliche Orientalismen und Okzidentalismen dieser Erde verschmolzen in den Ekstasen des Kölner Duos Mouse on Mars. Wer noch dessen schrullige, geradezu obsessiv undramatische Elektronikspielchen aus den Neunzigerjahren im Kopf hatte, staunte: Zum Quintett ergänzt, baute es weite Spannungsbögen, so innig, dass Kenner ergriffen das alte deutsche Wort „Kraut“ flüsterten. Feines Festival. Das nächste Mal dann bitte auch im Wald.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2018)

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