Verschachteln, aber richtig

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Schreiben lernen muss man zweimal im Leben: in der Volksschule – und spätestens während des Studiums für die Wissenschaft und die Master-These.

Respekt – so verschachtelt, wie manche Wissenschaftler schreiben, muss man erst einmal denken können. Obwohl: Nicht jeder vermutet da gleich einen direkten Zusammenhang. Eher den Drang zu imponieren, wenigstens sich selbst. Wissenschaftlich schreiben ist weniger Kunst als „eine Fertigkeit, die man lernen und lehren kann“, sagt Helmut Gruber, Professor am Institut für Sprachwissenschaft in Wien.

Die meisten Studierenden in Österreich haben wenig von dieser Einsicht, die sich im englischen Sprachraum schon längst im Lehrveranstaltungsangebot ausdrückt. „Dort gibt es an vielen großen Universitäten Schreibzentren“, so Gruber. Österreichs Hochschulen hingegen lassen die Studierenden beim Schreiben mit ihrem Unvermögen weitgehend allein, nur nicht jene in Klagenfurt. Das dortige Schreibcenter bildet Tutoren zu Schreibberatern aus und schickt sie an die Institute, bietet Lehrveranstaltungen und Unterstützung für Studierende im Schreibprozess an. „Wir leben das Bewusstsein, dass Schreiben systematisch gelernt werden muss“, sagt Carmen Mertlitsch vom Schreibcenter Klagenfurt.

An den restlichen Hochschulen lernen die Studierenden vor allem, ihr eigener Lehrer zu sein. „Denn meistens erschöpft sich das explizite Lehren des wissenschaftlichen Schreibens darin, richtig zu zitieren“, sagt Gruber. An der wissenschaftlichen Terminologie scheitern die wenigsten Texte. Beim Aneinanderreihen der Wörter, also der Syntax – dabei verirren sich die meisten. Oder auch beim verknüpfen der Sätze zu einer Textstruktur. Viele Schreiber finden aus ihren eigenen Satz-Labyrinthen nicht mehr heraus: oft auch deshalb, weil sie stilistisch falschen Vorbildern gefolgt sind, die sich selbstgefällig zwischen Buchdeckeln in den Fachbibliotheken stapeln. Schließlich ist schreiberisches Unvermögen keine Domäne allein der Studierenden. „Es ist vielfach ein Tabuthema an den Hochschulen“, sagt Gruber. Viele Wissenschaftler seien überrascht, wenn sie zum ersten Mal negatives Feedback zu ihrem Stil und Textaufbau bekommen, etwa wenn sie Beiträge bei „Peer-Reviewed Journals“ einreichen.

Lernen, imitieren, erwerben

Wie stark Studierende den wissenschaftlichen Stil anderer imitieren, zeigen laut Gruber Studien zu akademischen „Schreibbiografien“. „Es ist eine echte Form von Spracherwerb“, sagt Gruber. Doch in der Praxis des wissenschaftlichen Schreibens zeigt sich rasch, wenn profunde Sachkenntnis und gestelzte Sprache getrennte Wege gehen, wo Sprache Komplexität abbildet und wo sie lediglich so tut, als ob. Wenn aufgeblähte Syntax den dünnen Inhalt kaschiert, besteht auch bei der Master-These akute Entlarvungsgefahr. Ebenso wenig ist zu empfehlen, Anleihen in anderen Stilvarietäten zu nehmen. „Eine Journalistin hat einmal bei mir diplomiert“, erzählt Gruber. Die Folge: Die Überschriften waren eher Zeitungsheadlines, und der Text selbst war gespickt mit plakativen Bildern.

„Im englischen Sprachraum“, so Gruber „zählt bei wissenschaftlichen Texten auch die Leserorientierung.“ Im Deutschen hingegen sei die wichtigste Anforderung, „die Sprache an der Komplexität des Gegenstandes auszurichten“. Auch fachspezifische Unterschiede zeigen sich: „allein in der Argumentation, wenn man philosophische mit naturwissenschaftlichen Fächern vergleicht“, sagt Gruber. „Die Denkarten manifestieren sich im Schreiben.“ Deshalb können auch komplizierte syntaktische Gebilde ihre Berechtigung und ihren Wert haben, „weil sie so die inhaltliche Beziehung von Vordergrund und Hintergrund abbilden“. Doch es zeige sich ein Wandel in den wissenschaftlichen Texten. „Schrittweise geht die Veränderung dahin, dass man versucht, komplexe Satzstrukturen zu reduzieren“ – vor allem die Relativsätze, die sich quer durch viele Publikationen so ineinander verschachteln wie russische Matroschkas.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2010)

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