Reformen bei Fischerei, Umwelt und Banken nötig. Das größte Hindernis für Islands Beitritt ist aber der Zusammenbruch seines Bankwesens.
BRÜSSEL. Auf dem Papier sieht es so aus, als wäre Island schon so gut wie drin. „Der Beitritt hätte auf die Europäische Union insgesamt nur begrenzte Auswirkungen und würde nicht die Fähigkeit der Union beeinträchtigen, ihre eigene Entwicklung fortzusetzen und zu vertiefen“, liest es sich in der Mitteilung, kraft der der tschechische EU-Erweiterungskommissar ?tefan Füle am Mittwoch Beitrittsverhandlungen empfahl.
In der 95-seitigen Analyse der EU-Reife Islands, die dieser Entscheidung zugrunde liegt, haben aber Füles eigene Beamte zumindest fünf haarige Probleme aufgelistet, die den schnellen Abschluss der Verhandlungen deutlich verzögern könnten. „Erhebliche Anstrengungen“ seien in den Bereichen Fischerei, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Umwelt, freier Kapitalverkehr und Finanzdienstleistungen nötig.
Fischer und Bauern verlieren
Der Reihe nach. Wenn Island den Anforderungen der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) der EU entsprechen will, was es derzeit nicht tut, muss es seine Gewässer für die Fangflotten anderer EU-Staaten öffnen. Wie heiß dieses politische Eisen für Reykjavik ist, lässt sich am Umstand ermessen, dass im Durchschnitt jeder Isländer vier Tonnen Fisch fängt, jeder EU-Bürger hingegen nur zehn Kilogramm. Islands Fischproduktion entspricht einem Drittel der gesamten EU-Menge. Die gesamte Fischproduktion einer um Island erweiterten Union wüchse mit einem Schlag um ein Fünftel. Mit dem Fischfang hängen auch die Probleme zusammen, die die Kommission im Kapitel „Freier Kapitalverkehr“ aufzählt. Island verbietet Ausländern, in die Fischwirtschaft zu investieren. Abgesehen davon müssen die isländischen Behörden im Kampf gegen Geldwäsche gestärkt werden.
Unter der Überschrift „Landwirtschaft“ erinnern die Kommissionsexperten daran, dass Island seine Agrarbetriebe doppelt so stark subventioniert, wie das in der EU der Fall ist. Das ist mit EU-Recht nicht vereinbar, der Widerstand der isländischen Bauern gegen eine Halbierung ihrer staatlichen Zuschüsse dürfte aber durchaus beträchtlich sein. Bezüglich der Umweltpolitik weisen die EU-Beamten zart darauf hin, dass Island den Walfang erlaubt.
Das größte Hindernis für Islands Beitritt ist aber der Zusammenbruch seines Bankwesens. Denn erstens muss Island frühestmöglich die Finanzaufsicht sowie das System der Spareinlagensicherung reformieren. Und zweitens ist es offen, ob die Isländer 3,9 Mrd. Euro an Großbritannien und die Niederlande zahlen müssen, um die Verluste der Inhaber von Internetkonten isländischer Banken zu entschädigen.
Stellt sich letztlich die Frage nach dem strategischen Nutzen, den Islands Beitritt für die EU hätte. Füle sprach von geostrategische Fragen betreffend die Arktis, „wo unsere Partner aus Island äußerst hilfreich sein könnten“.
Strategischer Nutzen fraglich
Arktis-Experten bezweifeln das. „Weiß die EU, was sie will? Ich denke, sie sollte eine Arktis-Politik haben, aber derzeit sehe ich sie nicht“, sagte der Historiker Charles Emmerson, dessen Buch „The Future History of the Arctic“ dieser Tage erscheint, zur „Presse“. Die arktischen Staaten USA, Russland, Kanada und Norwegen seien „nicht erpicht darauf, dass sich Außenseiter hineindrängen – egal, ob die EU oder China“. Eine sinnvolle europäische Arktis-Strategie könnte darin bestehen, eine Gruppe von Staaten um sich zu scharen, die ein Interesse an der internationalen Regelung des Zugangs zu den Seewegen am Nordpol haben, meint Emmerson.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2010)