Ein Iran mit Nuklearwaffen wäre ein Problem für die gesamte Nahostregion. Doch genau deshalb wurde das – nicht perfekte – Atomabkommen vereinbart.
Die ersten Bomben sind bereits gefallen. Immer wieder fliegt Israels Luftwaffe Angriffe auf Militäreinrichtungen in Syrien, in denen iranische Eliteeinheiten stationiert sind. Dabei kamen Dutzende Iraner um. Im Vergleich zu dem Blutbad, das eine große Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Iran bedeuten würde, sind das nur kleine Scharmützel. Es sind Signale, Warnungen, die Israel an den Iran und dessen Verbündete schickt.
Irans Revolutionsgarden sind in Syrien ihrem Alliierten, Bashar al-Assad, zu Hilfe geeilt. Dadurch wurden Teile des Landes gleichsam zu einem großen iranischen Militärstützpunkt – und das macht Israel zunehmend nervös. Auch Saudiarabien sieht seine Interessen dadurch gefährdet, dass Teheran in den vergangenen Jahren seinen Einfluss in der Region ausgebaut hat. Und die USA und wichtige europäische Staaten betrachten Irans Machtzuwachs ebenso mit Missfallen.
Wenn die Regierung des US-Präsidenten, Donald Trump, auf das internationale Atomabkommen mit Teheran einprügelt, will sie damit nicht nur Irans nukleare Ambitionen treffen. Sie will vielmehr dem politischen und militärischen Einfluss Teherans Schläge versetzen. „Eindämmung“ des Iran lautet die gemeinsame Devise von Washington bis Jerusalem und in die saudische Hauptstadt, Riad. Ob ein Ausstieg aus dem Atomabkommen dafür das richtige Rezept ist, ist jedoch fraglich.
Ein Iran mit Nuklearwaffen wäre ein Problem für die gesamte Nahostregion – daran besteht kein Zweifel. Israel würde seine Sicherheit unmittelbar bedroht sehen. Zugleich würde eine Rüstungsspirale in Gang gesetzt, weil Saudiarabien und andere arabische Länder dann nach eigenen Atombomben streben würden.
Doch genau das soll der Atomvertrag, der in langen, schwierigen Gesprächen ausverhandelt worden ist, verhindern. Das Abkommen ist keineswegs perfekt. Eine Alternative dazu ist derzeit aber nicht in Sicht. Bisher hat Teheran laut Internationaler Atomenergiebehörde (IAEA) auch die Vorgaben erfüllt.
Sich selbst nicht an den vereinbarten Vertrag zu halten – ob er einem nun passt oder nicht – wirft zudem ein schiefes Licht auf die Verantwortlichen in Washington. Wie sehr werden sich etwa Nordkoreas Verhandler auf Zusagen der Regierung Trump verlassen, wenn sie zugleich fürchten müssen, dass in einigen Jahren wieder alles Makulatur sein könnte? Wie sehr verfestigt sich dann ihr – wohl ohnehin schon jetzt vorhandenes – Ansinnen, sich für alle Fälle noch etwas in der Hinterhand zu behalten?
Bis jetzt zeigt sich auch keine klare Strategie, wie Trump ohne Atomabkommen dafür sorgen will, dass der Iran keine Nuklearwaffen baut. Strafmaßnahmen gab es schon einmal. Sie haben dazu beigetragen, dass Teheran auf den eben derzeit geltenden Nuklearvertrag eingestiegen ist. Zu hoffen, dass sich der Iran mit neuen Strafmaßnahmen so einfach eine Verschärfung des Abkommens abtrotzen ließe, ist aber gewagt. Einem Teil des Regimes gehen schon die bisherigen Zugeständnisse zu weit.
Auch militärisch ist ein Stopp eines wieder voll angeworfenen Atomprogramms kaum zu erreichen. Um dabei auf Nummer sicher zu gehen, müsste man wohl in dem gewaltigen Land einmarschieren. Das wäre selbst für die USA eine zu große Aufgabe – ganz abgesehen von den humanitären Folgen.
Trotz aller zur Schau getragenen Reformbestrebungen von Teilen der Führung zählt Irans Regime zu den Systemen, die weltweit für die meisten Hinrichtungen verantwortlich sind. Es geht mit Gewalt gegen alle vor, die die auf der Idee eines schiitischen „Gottesstaates“ basierende Ordnung anzweifeln.
Neue Wirtschaftssanktionen würden das Regime unter Druck bringen und seine militärischen Abenteuer wie in Syrien noch kostspieliger machen als bisher. Angriffe auf iranische Truppen in Syrien und die mit ihr verbündete Hisbollah würden Teherans Militärkapazitäten schwächen – freilich verbunden mit der Gefahr eines Flächenbrandes. Bei gleichzeitiger Aufkündigung des Atomvertrags wäre Teherans Gegenstrategie aber auch vorhersehbar: jetzt erst recht an Nuklearwaffen zu gelangen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2018)