Bei der Verleihung des Karlspreises an Frankreichs Präsidenten und der Laudatio der Kanzlerin traten die Differenzen mit Donald Trump und die Appelle an stärkere Position Europas deutlich zutage.
Wien/Aachen. Die Staffage war prominent, der Rahmen pompös: Im historischen Aachener Rathaus war alles ausgerichtet für die Verleihung des Karlspreises, des europäischen Äquivalents zum Nobelpreis, und eine würdevolle Feier anlässlich der Ehrung Emmanuel Macrons und seiner Verdienste um Europa nach gerade einmal einem Jahr im Elysée-Palast. Spaniens König Felipe, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und seine litauische Kollegin Dalia Grybauskaitė, frühere Karlspreisträger wie Ex-SPD-Chef Martin Schulz und Ex-Außenminister wie Joschka Fischer gaben sich ein Stelldichein, um der Laudatio Angela Merkels zu lauschen und den EU-Visionen des französischen Präsidenten.
Doch die Stimmung im Dreiländereck zwischen Deutschland, Belgien und Luxemburg war einigermaßen getrübt, und die Reden gerieten zu Appellen an die Eigenverantwortung Europas und zur Emanzipation von den USA. „Seien wir nicht schwach“, rief Macron in den Saal, um das Publikum aufzumuntern. Es klang indes wie eine Bestätigung des gegenwärtigen Status quo Europas. „Es ist nicht mehr so, dass die Vereinigten Staaten von Amerika uns einfach schützen werden“, erklärte Merkel. Europa müsse sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, sagte die deutsche Kanzlerin. Die gemeinsame Außenpolitik stecke in den Kinderschuhen. Es nahm sich aus wie eine Selbstbeschwörung – und wie das Echo einer Bierzeltrede Merkels.
Transatlantischer Graben
„Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei.“ Zwischen Bierkrug und Blasmusik zog die Kanzlerin im Vorjahr ein Resümee nach den ersten Treffen mit dem US-Präsidenten Donald Trump, nach dem Nato-Gipfel in Brüssel und dem G7-Treffen in Taormina, seinen Einschüchterungsversuchen und dem Ansinnen, das Pariser Klimaabkommen zu verlassen. Ihre Schlussfolgerung lautete: „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“
Ein Jahr später sind die Differenzen womöglich noch gravierender und die Frustrationen noch stärker. Nach der Aufkündigung des Atomdeals mit dem Iran durch die USA tut sich mit einem Mal ein transatlantischer Graben auf wie niemals nach dem Zweiten Weltkrieg. Macron, Merkel und Boris Johnson, der britische Außenminister, mussten mit Ernüchterung feststellen, dass ihre Washington-Trips und ihre unterschiedlichen Strategien, den US-Präsidenten Donald Trump in letzter Minute umzustimmen, ihre Wirkung verfehlt haben. Charme und Schmeicheleien fruchteten nichts – und ihre Argumente erst recht nicht. Macron kritisierte den Kurs Trumps als eine „Politik des Schlechteren und Schlimmeren“. Und Merkel, die sonst so gar nicht zur Theatralik neigt, richtete einen dramatischen Appell an die Akteure in der Region: „Es geht wahrlich um Krieg und Frieden.“
Europäer auf sich gestellt
Die Europäer sind von ihrem mächtigen Alliierten allein gelassen und auf sich gestellt, das Atomabkommen mit Teheran zu retten. Fast trotzig hatten Merkel, Macron und die britische Premierministerin Theresa May noch am Dienstagabend eine gemeinsame Erklärung herausgegeben und dabei an die Mullahs in Teheran appelliert, dem Pakt dennoch treu zu bleiben. Hassan Rohani, der iranische Präsident, kündigte an, sich mit den Europäern ins Einvernehmen zu setzen.
Die Vorzeichen sind allerdings denkbar schlecht. Es bleiben nur wenige Wochen Zeit, und dass sich die Iraner auf eine Neuverhandlung und eine Erweiterung des Nuklearpakts einlassen, wie dies Macron und anderen vorschwebt, glauben indes nur unverbesserliche Optimisten. Heiko Maas, der deutsche Außenminister, versuchte es bei seinem Antrittsbesuch in Moskau bei seinem Amtskollegen Sergej Lawrow mit Schadensbegrenzung und lotete dabei den Einfluss Russlands auf den Iran aus.
Realpolitiker, vor allem in Deutschland, stellen sich auf ein Scheitern des Abkommens ein. Norbert Röttgen, der außenpolitische Sprecher der CDU, denkt, dass die Drohung von Sanktionen gegen europäische Investitionen im Iran den Pakt letztlich zu Fall bringen werden. FDP-Chef Christian Lindner schlug einen EU-Sondergipfel zur aktuellen Lage in der Welt vor, damit Europa eine einheitliche Position formuliere. Dies sei die einzige Chance, um auf der Weltbühne neben Russland und China die europäischen Interessen gegen die USA zu vertreten. Der Geist des Wiener Atomabkommen vom Juli 2015 scheint jedenfalls verweht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2018)