Seine Rolle in "Mandy" wurde dem Kultschauspieler auf den Leib geschrieben. Viel sagen braucht er dabei nicht: Der Film ist ein synästhetisches Gesamtkunstwerk.
In Cannes betet jeder zu einem anderen Gott. Für eingefleischte Cinephile alter Schule heißt er Jean-Luc Godard und tritt nur als Off-Stimme im Kinosaal oder als Digitalikone auf dem Smartphone-Bildschirm in Erscheinung (bei einer Pressekonferenz zeigte er sich Journalisten nicht persönlich, sondern via Facetime-App). Manch ein Marktbesucher huldigt indes Gott Mammon und sucht in den Katakomben des Palais des Festivals demütig nach dem nächsten großen Kassenschlager. Andere verfluchen die Wettergötter, weil sie die sonst so sonnige Croisette am Sonntag mit Regenschauern überschüttet haben. Aber spätestens seit der Premiere von "Mandy" in der Quinzaine des Réalisateurs, einer unabhängigen Parallelsektion des Festivals, sollte jedem klar sein, dass es nur einen Gott geben kann: Nicolas Cage.
Einst ein gefeierter Star und Oscar-Preisträger, spielt Cage schon seit geraumer Zeit in ziemlich allem mit, was ihm angeboten wird. Oft sind das charakterlose B-Movies, manchmal aber auch richtig tolle Filmperlen. Und um Cages unverwechselbaren Schauspielstil, seine spontanen Explosionen zügellosen Ausdrucks, denen mit dem jämmerlichen Begriff "Over-Acting" keinesfalls beizukommen ist, hat sich längst ein Kult gebildet.
Ein Holzfäller im Wald
Panos Cosmatos, Autorenfilmer und Sohn des legendären Action-Regisseurs George P. Cosmatos, zählt zu dessen Anhängern - und hat Cage eine Rolle auf den Leib geschrieben, in der sich dieser so richtig austoben kann. Das Handlungsgerüst seines Films "Mandy" ist rudimentär: Ein Holzfäller (Cage) lebt zurückgezogen im Wald. Seine Frau wird von einer sektenartige Bande, angeführt von einem irren Hippie-Narziss, ermordet. Also nimmt er blutige Rache.
Mit trockener Genre-Kost hat das nichts zu tun. "Mandy" ist ein synästhetisches Gesamtkunstwerk. Eine wuchtige Kinowalze, die nicht nur in Cannes ihresgleichen sucht. Maximalismus an allen Fronten: Man taucht in eine düsterbunte Kunstwelt, wo Farbe und Finsternis gleichermaßen übersättigt sind, wo sich die Zeit zum sphärischen Synthesizer-Soundtrack des heuer verstorbenen isländischen Komponisten Jóhann Jóhannsson dehnt und streckt und Versatzstücke der Nerd- und Popkultur der Achtziger, von Metal-Album-Covern über Horrorfilme bis zu Fantasy-Romanen, das saftige Substrat bilden. Und über allem thront Cage, sein wahnhafter Blick strahlt überlebensgroß von der Leinwand. Nur selten sagt der Anti-Star etwas. Nicht nötig. Er lacht, er weint, er wütet - das reicht. Hier geht es um intensive Gefühle und ihren nicht minder intensiven, ungehemmten Ausdruck auf allen Ebenen. "Mandy" ist nämlich keine bloße Retro-Pastiche, kein hohler Hipster-Film, sondern ein berührendes und letztlich erstaunlich ernstes Psychodrama über Verlust. Amen.