Cannes: Der schelmische Godard und sein blutiges Bilderbuch

Jean-Luc Godard.
Jean-Luc Godard.(c) APA/AFP/MIGUEL MEDINA
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Letztes Jahr ließ ein g'feanztes Biopic kein gutes Haar an Jean-Luc Godard. Heuer ist die Regielegende mit einem ungewohnt heftigen Filmessay wieder im Wettbewerb des Festivals vertreten – und hielt eine Pressekonferenz per Smartphone.

Über dem Eingang zum Grand Théâtre Lumière, der Hauptspielstätte des Cannes-Filmfestivals, prangt ein riesiges Plakat. Das Bild darauf sieht aus wie ein Airbrush-Gemälde: Jean-Paul Belmondo und Anna Karina lehnen sich für einen Kuss aus ihren Autos. Es stammt aus einem Schlüsselfilm der Nouvelle Vague: „Pierrot le fou“ von Jean-Luc Godard. In dessen Finale schnallt Belmondo Dynamit um seinen Kopf und sprengt sich in die Luft. Erinnert wird, auch hier in Cannes, lieber das retro-romantische Sechzigerjahreflair des Beziehungsdramas.

Als man zur Premiere von Godards neuestem Werk, „Le livre d'image“, unter dem offiziellen Festivalbanner ins Kino schritt, hatte das eine gewisse Ironie: Vom weltweit gefeierten Liebling einer Leinwandgeneration hat sich die Regielegende längst in einen eigenbrötlerischen Außenseiter verwandelt, mit dessen jüngeren Arbeiten nur wenige etwas anfangen können. Trotzdem ist Godard noch immer „in“, zumindest an der Croisette; letztes Jahr lief hier zwar ein g'feanztes Biopic, dass kein gutes Haar am einstigen Enfant terrible ließ. Doch heuer lockte sein „Bilderbuch“ wieder massenweise Zuschauer an.

Und was auch immer man davon halten mag: Als bislang einziger Wettbewerbsbeitrag erinnert es an die Möglichkeiten des Kinos abseits erzählter, gespielter „Geschichten“. Wieder einmal liefert der 87-Jährige einen gleichermaßen lyrisch-freien wie verkopft-verschrobenen Filmessay. Doch wo sein letzter Streich „Adieu au Langage“ mit seinen schillernden 3-D-Spompanadeln wirkte wie eine Ode an die Freude, herrscht diesmal finsterste Untergangsstimmung.

Die gewohnt eklektische Collage wurde angekündigt als Godard'sche Meditation über die arabische Welt (und Europas Blick darauf). Die „Botschaften“ und assoziativen Volten des Bildgedichts werden freilich nur die eingefleischtesten Cinephilen für sich erschließen können – wie immer bei Godard. Dennoch eignet dem Film eine Dringlichkeit, die seinen letzten Werken fehlte.

Bis er nur noch röchelt

Das liegt zum einen am Verzicht auf inszenierte Szenen und einer Rückkehr zum frei fließenden Stil des monumentalen Kinotraktats „Histoire(s) du cinéma“ – vor allem aber an der Wut und Verzweiflung, die aus vielen der Bilder und Töne sprechen, die hier auf einen einprasseln. Krieg, Verwüstung und Gewalt ziehen sich als blutrote Linie durch den Ansturm verfremdeter Fetzen aus Klassikern, Blockbustern, Nachrichten-Clips und terroristischen Propagandavideos, untermalt vom Bewusstseinsstrom des Filmemachers. Godards Off-Stimme springt von links, rechts oder von allen Seiten auf einmal ins Ohr, sprudelt immer wahnhafter, bis sie am Ende in ein heftiges Röcheln verfällt, wie die letzte Warnung einer siechen Kino-Kassandra.

Das macht fraglos Eindruck. Wenn man das Alter des Regisseurs bedenkt, umso mehr. Der letzte Montage-Kniff folgte dann beim Verlassen des Kinos: Draußen an der Côte d'Azur läuft die Bildermaschinerie weiter wie gehabt, nur geht's hier um Stars und Selfies. Godard ist und bleibt ein Schelm. Wie auch die Pressekonferenz zum Film zeigte: Eigentlich hatte keiner mit der Anwesenheit des medienscheuen Mannes gerechnet. Dann ließ er sich überraschend doch blicken – allerdings nur auf dem Bildschirm eines Smartphones. Per Facetime-App stand er Journalisten Rede und Antwort, die sich einer nach dem anderen für eine Audienz über ein Mikro beugen mussten. Auf die Frage, ob man sich noch mehr Filme von ihm erwarten könne, hieß es: „Das hängt von meinen Beinen, Händen und Augen ab.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2018)

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